Serie – Teil 1 – Grundlagen : Mobbing im Unternehmen
Haben wir ein Problem? Wenn man mit Führungskräften, Unternehmenslenkern oder Personalern über das Thema Mobbing spricht, kommt in den allermeisten Fällen ein sofortiges Abwinken: „Gibt es bei uns nicht!“ oder „Bei uns doch nicht!“ oder „Würde gar nicht zu unserer Unternehmenskultur passen!“

Die Wahrheit sieht leider anders aus, aber dazu gleich noch mehr. Nachdenklich werden die Gesprächspartner in der Regel dann, wenn man auf die möglichen Kosten von Mobbing für das Unternehmen zu sprechen kommt. Dann ist zumindest theoretisch der Fall denkbar, dass im Ausnahmefall, ein einzelner Mitarbeiter, aber eigentlich sehr unwahrscheinlich …
Ist Mobbing in deutschen Unternehmen also wirklich kein Thema? Die Studien sagen etwas anderes. Leider stammt die letzte umfassende und repräsentative Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit (BAUA) aus dem Jahr 2002. Seither hat es nur vereinzelt Untersuchungen zu dem Thema gegeben, meist regional oder branchenbezogen. Hinweise liefert allerdings regelmäßig der „Gute-Arbeit-Index“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).
Tatsache ist, dass ein größerer Teil der Arbeitnehmer im Laufe seines Arbeitslebens mit Mobbing in Berührung kommt, sei es als Opfer oder zumindest als Zeuge im unmittelbaren Umfeld.
Zum Zeitpunkt der BAUA-Studie waren 1,1 Millionen Beschäftigte – das entsprach etwa 2,7 Prozent – direct von Mobbing betroffen. Im Laufe ihres Erwerbslebens erklärten sich 11,3 Prozent aller Beschäftigten als betroffen, immerhin 11,3 Prozent. Es spricht nichts dafür, dass sich die Verhältnisse seit dem Zeitpunkt der Studie verbessert hätten – eher im Gegenteil. Stetig steigender Leistungsdruck, höherer Stress, steigende Anforderungen insbesondere an die Führungskräfte – das alles sind Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit von Mobbingvorfällen eher noch erhöhen.
Apropos Führungskräfte: Die Studie hat deutlich gezeigt, dass Mobbing ein Führungsproblem im wahrsten Sinne des Wortes ist. Als Mobbingtäter wurden in 13 Prozent der Fälle Kollegen und Vorgesetzte gemeinsam angegeben, in 38 Prozent waren es die Vorgesetzten allein, die als Mobbingtäter identifiziert wurden.
Was ist eigentlich Mobbing?
Eine Legaldefinition im Gesetz gibt es in Deutschland (leider) bisher nicht. Die Gerichte orientieren sich bei ihrer Urteilsfindung in der Regel an einer wissenschaftlichen Definition, wie sie erstmals der Psychologe Heinz Leymann beschrieben hat:
„Mobbing ist eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einem oder mehreren anderen Personen systematisch und während längerer Zeit direkt oder indirekt angegriffen wird, mit dem Ziel und/oder dem Effekt des Ausstoßes und die angegriffene Person dieses als Diskriminierung erlebt.“
Natürlich gibt es Mobbing auch außerhalb der Arbeitsumgebung, also etwa innerhalb der Familie, in der Nachbarschaft, in der Schule oder im Sportverein. Thema von Leymann war aber eben das Mobbing am Arbeitsplatz. Nach dieser Definition müssen – damit man von Mobbing sprechen kann – also eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein:
- Konflikt zwischen Mitarbeitern oder
- Konflikt zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem (hier spricht man auch von „Bossing“);
- es muss sich um systematische Angriffe handeln;
- es muss über längere Zeit erfolgen;
- die Entfernung des Betroffenen muss das Ziel sein (oder im Ergebnis dahinführen);
- der Betroffene muss die Angriffe als Diskriminierung empfinden.
Diese Definition stellt sicher, dass gelegentliche Streitigkeiten, Unstimmigkeiten oder andere Probleme nicht immer sofort unter die Rubrik „Mobbing“ eingeordnet werden können. Eine „normale“ Unverträglichkeit oder Abneigung unter Kollegen erfüllt diesen Tatbestand eben nicht.
Die Folgen von Mobbing
Die Folgen von Mobbing betreffen mehr oder weniger alle: Die Betroffenen, die Kollegen, aber auch die Unternehmen selbst. Mobbing verursacht für das Unternehmen erhebliche Kosten – und das an vielen Stellen.
Sehen wir uns zunächst die Folgen für die Betroffenen an. Gesundheitliche Störungen, Arbeitsunfähigkeiten, psychische Folgen – oft dauerhaft: All das können Auswirkungen von Mobbingangriffen sein. Gerade die psychischen Belastungen führen in nicht wenigen Fällen zu nachhaltigen Belastungen bis hin zu Suizidgedanken oder -versuchen.
Die Kollegen leiden unter Umständen ebenfalls, weil sie sich machtlos fühlen (insbesondere, wenn das Mobbing vom Vorgesetzten ausgeht) oder Angst haben müssen, das nächste Opfer zu sein. Zudem führen solche Verhältnisse oft zu einer nachlassenden Motivation, bis hin zur inneren Kündigung.
Und das Unternehmen? Abgesehen von der Pflicht, die Beschäftigten vor gesundheitlichen Gefahren – und dazu gehört auch Mobbing! – zu schützen, geht es um ganz konkrete Kosten. Einige davon liegen auf der Hand und werden oft auch sofort als mögliche Folgen benannt. Dazu gehören etwa die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder die Kosten einer Kündigung (arbeitsrechtliche Verfahren, Stellenneubesetzung, Produktionsausfalle wegen fehlender Kapazitäten usw.).
Weniger im Fokus, dafür aber unter Umständen richtig teuer sind Folgekosten. Dazu gehören Motivationsverluste der anderen, nicht unmittelbar betroffenen Mitarbeiter und eine steigende Fluktuation. Gerade in Branchen mit Fachkräftemangel eine Horrorvorstellung. Außerdem spricht es sich bei potenziellen Bewerbern schnell herum, wenn im Unternehmen einiges im Argen liegt. Die einschlägigen Internetportale werden immer stärker gelesen und in die Entscheidungsfindung für oder gegen eine Bewerbung bei einem Unternehmen einbezogen.
Wenn sich ein schlechter Umgang mit den Mitarbeitern herumspricht, kann das auch Folgen für die Auftragslage haben. Immer mehr Unternehmen achten darauf, ihrerseits Aufträge nur an andere Betriebe mit guter Reputation zu vergeben. Solche Kosten sind kaum kalkulierbar.
Ohnehin ist es schwierig, konkrete Beträge zu nennen. Zahlreiche Studien zu dem Thema zeigen durchaus unterschiedliche Werte, je nachdem, ob der Fokus auf dem gesamtwirtschaftlichen Schaden liegt oder auf den finanziellen Folgen für ein Unternehmen. Hier ist das Ergebnis sehr von der Branche und der Unternehmensgröße abhängig.
Die Schätzungen für die Gesamtwirtschaft gehen bis zu 100 Milliarden Euro jährlich. Musterrechnungen von Heinz Leymann ergaben einen Schaden pro Fall für das Unternehmen von (angepasst an heutige Verhältnisse) durchschnittlich 200.000 Euro, wobei das als Mittelwert anzusehen ist. In Branchen mit hohen Gehältern und Fachkräftemangel dürfte der finanzielle Schaden um ein Vielfaches höher liegen.
Es lohnt sich also für die Unternehmen in jedem Fall, etwas gegen Mobbingvorfälle zu unternehmen bzw. solchem Verhalten vorzubeugen.
Fortsetzung folgt in der Ausgabe 3/22 der LOHN+GEHALT
Jürgen Heidenreich
