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Recruiting von morgen? : Mischt die Karten neu! Die „Spielregeln“ im Recruiting ändern sich

Wenn sich so gar keine geeigneten Fachkräfte finden lassen, dann gilt es, keine Zeit zu verlieren! „Human Resources“ war besser heute schon gestern! Abgekürzt als HR, klingt es zwar weniger wertschätzend für die noch viel verwendete Bezeichnung für „Arbeitskräfte“. Solche Bezeichnungen umfassen – auch vom unternehmerischen Mindset – inzwischen aber genau das, wofür der arbeitende Mensch als Mitarbeiter von morgen nicht weiter stehen will.

Lesezeit 6 Min.
Eine Reihe verwitterter Spielkarten, ausgebreitet auf einer Holztischoberfläche von Humanressourcen.

Wer goldenes „Human Capital“ sucht, muss tiefer (bei sich) graben und auf Neues bauen! Und es wird längst nicht mehr reichen, „dem Kind einfach einen neuen Namen zu geben. Aber auch Technik und hippes Jobmarketing allein werden es nicht richten.

Hauptsache erst einmal in die „Höhle“ gelockt?

Neulich las ich bei Kununu in einer Firmenbewertung unter dem Punkt Gleichberechtigung: „Alle werden gleich schlecht behandelt.“ Wenn Sie keine faire Unternehmenskultur vorweisen können, vergessen Sie alle vollmundig angekündigten Onboarding-Pläne und -Prozesse. Da hilft auch kein teures und (und eher gestelltes) Firmen-Image-Video, das möglichst mit Hochglanz blenden möchte.

Es ist zudem nicht weitreichend zu Ende gedacht, wenn neue Mitarbeiter (bei gleicher Tätigkeit) bessergestellt werden, um diese zu ködern. Da werden den „Neuen“ z. B. bessere Homeoffice-Bedingungen geboten oder auch bessere Einstiegsgehälter, die über dem liegen, was andere längst verdienen sollten. Findet man vielleicht so lange gut, bis man nicht auf der anderen Seite gelandet sein wird.

Was man nicht unterschätzen sollte, die Wechselwilligen des eigenen Unternehmens lesen hier unter Umständen nicht nur mit – die nehmen dann auch gern ihr Know-how mit, wenn sie dann (mit Grund) das Unternehmen verlassen, den eigenen Recruiting-Praktiken sei Dank!

Die Folge: das oft beklagte „Die-Guten- gehen-immer“-Geheule und eine (ungesund) hohe Fluktuation, die von möglichen Bewerbern nicht nur auf den Jobbewertungsportalen mitgelesen werden (Tendenz steigend), sondern auch durch eine Vielzahl an verschieden Jobnewslettern als indirekte Info auch noch schön verbreitet werden. Frei nach dem Motto: „Wer immer sucht, wird wenig binden …“

Da darf man sich nicht nur von außen wirklich fragen: „Wächst das Unternehmen noch oder verzweifelt es schon?“ Und Fangprämien sind dann nicht unbedingt eine gute Idee. Wenn man zu sehr (und zu offensichtlich) mit dem kurzfristigen Geldköder das „Lasso“ nach dringend benötigten Fachkräften auswirft, löst das bei den Guten möglicherweise Fluchttendenzen aus. Not(-Programm) ist ein schlechter Ratgeber!

Wer heute weiterhin unpassende Bewerber am Ende des Bewerbungsverfahrens sogar „ghostet“ und (auch nach geführten Gesprächen) einfach nicht mehr antwortet bzw. nicht Bescheid gibt, sollte von Talentpool-Plänen besser absehen. Wer nicht mitbekommen hat, das „Frischfleisch“ rarer wird, darf weiterhin aus dem selbstgefälligen Entscheider-Elfenbeinturm seinen alten Personalgewinnungszopf auswerfen, in der Hoffnung, dass ihn später jemand zur Rettung auch noch freiwillig hinaufklettert. Und wer weiß, vielleicht droht eine Great-Reshuffle-Welle – ähnlich wie sie Amerika und Asien gerade als eine der größten Umschichtungen des Arbeitsmarktes durch massive Kündigungswellen seit Ende 2021 erleben – auch bald uns?

Man wird künftig umso mehr schauen müssen, ob der unpassende Kandidat von gestern sogar der Mitarbeiter von morgen werden könnte – vielleicht auch für eine andere Position, denn die gilt es ebenfalls zu besetzen. Dass man sich in Zukunft auch sonst zweimal im Job-Leben sehen könnte, haben bereits einige Unternehmen erkannt und gestalten ihre Kündigungsprozesse inzwischen anders. Sie haben begriffen: Wer heute geht, könnte aber auch eines Tages (vielleicht gern) wieder zurückkommen wollen! Zukunft beginnt eben auch da, wo man umdenkt und neue oder andere Wege geht. Da kann manchmal auch „zurück“ der Fortschritt sein, wenn man nur weit genug denkt.

Wenn’s digital ist, wird es aber richtig gut?!

Der Bitkom e. V., der Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche, hat Anfang Februar das Ergebnis einer repräsentativen Befragung von mehr als 850 Unternehmen in Deutschland veröffentlicht. Das Ergebnis: Mittlerweile ermöglicht es (quasi) jedes Unternehmen in Deutschland potenziellen Bewerbern, sich online auf Stellen zu bewerben. So weit, so gut. Inzwischen setzen vier von zehn Unternehmen (42 Prozent) sogar ausschließlich auf digitale Bewerbungsunterlagen. Bei den verbleibenden 58 Prozent ist es zumindest teilweise der Fall. Der Grad der Technisierung sagt allerdings noch nichts über die Zukunftsfähigkeit und den Erfolg der Prozesse aus.

Viel zu oft kann beobachtet werden, dass digitale Recruitment-Prozesse vor allem auch in Kombination mit Social Media nicht zu Ende gedacht werden. Wer teure Ausbildungskampagnen vorzugsweise am Wochenende auf Facebook postet, erreicht als Zielgruppe die Eltern, die könnten es ja dann mit Glück weitersagen.

Stark im Kommen sind auch Joboder Ausbildungskampagnen, die mittlerweile mehr auf die Attitude (Haltung/Einstellung) als auf die reine Qualifikation eingehen – das vor dem gedanklichen Hintergrund, dass sich auf dieser Basis der (möglichweise fehlende) Rest später „verbessern und beheben“ lassen wird. Ein solcher Ansatz macht aber fürs Recruiting nur dann Sinn, wenn alle Bewerber zielgruppengerecht auf allen relevanten Kanälen auf diese Art befragt werden und nicht nur ein Teil per Zufall im Newsfeed auf (irgend-)einer Plattform.

Wer hier noch als „letzte“ recherchierbare Chance zusätzlich die klassische E-Mail-Bewerbung alleinig als solche anbietet, darf sich freuen, am Ende des Auswahlverfahrens „Äpfel mit Birnen“ vergleichen zu dürfen – das Zufallsprinzip hilft dabei vielleicht dann ja auch noch …

Recruiting-Kampagnen müssen auch künftig konsequent und clever durchdacht werden. Das bedeutet ebenso, dass durch die digitalen Elemente nicht immer nur alles einfacher werden wird, sondern manches anspruchsvoller und komplexer – dabei nicht zu vernachlässigen das sich weiterentwickelnde Userverhalten. Für das Recruiting von morgen gilt nach wie vor: Von nichts kommt nichts – und schon gar nicht allein durch Technik. Und selbst der „spielwillige“ (junge) Bewerber springt von dem online geschalteten „Job-Party-Posting“ schnell wieder ab, wenn er zwar erfährt, dass es eine hippe „Kicker-Chillout- Area“ gibt, er aber schon wieder mehrere Schritte bräuchte, um herauszufinden, wo sich dieser Bereich eigentlich in Wirklichkeit befindet. Und so heißt es dann: „Klick und weg“, statt da …

Da wollen (doch) wirklich alle hin?

„Wir suchen Dich!“ „Starten Sie jetzt durch!“, „Werde Teil unseres Teams!“ Jobmarketing: Ja! Aber bitte kein Marketing-Bla-Bla und überlautes (und zum Teil eher verschreckendes) „Rumgeschrei“ im War for Talents. Vorsicht auch vor Floskeln! Und die liest man (leider) immer öfter – vermeintlich „Cooles“ wird sogar kopiert, und das merkt man, weil es nicht echt ist. Wer möglichst intelligente Mitarbeiter will, sollte diese auch so ansprechen. Aber sehr viele Unternehmen versuchen einfach, die Masse anzusprechen, in der Hoffnung, dass dann doch „was dabei sein könnte“. Das bringt genauso wenig, wie Recruiting-Aufgaben billig outzusourcen – am Ende bleibt zu wenig Substanzielles und Nachhaltiges und noch weniger Passendes hängen. Das kann das künftige Ziel nicht sein!

Natalya Nepomnyashcha, Gründerin von „Netzwerk Chancen“ und LinkedIn Top Voice, gibt zu bedenken: „Kaum ein Unternehmen, das nicht von seiner tollen Kultur schwärmt. Meistens wird erzählt, dass man zusammen kickert, Partys feiert und sich als eine Familie versteht“ Sie fragt zu Recht, ob es wirklich das sein soll, was Mitarbeitende heute suchen, wenn es um Unternehmenskultur geht. Entscheidend sei doch vielmehr das, was im Arbeitsalltag gelebt wird: der tägliche Umgang, die Feedbackkultur und die Möglichkeit zur Meinungsäußerung (inklusive Fehlertoleranz) wie auch die Transparenz von Entscheidungen.

Wer beim Recruiting bereits von Beginn an alles zu sehr in Schubladen schieben will, verpasst zu seinem eigenen Nachteil, dass Individuen sich mit ihren Stärken im Unternehmen einsetzen lassen können (und wollen). Party mag vielleicht zunächst gut klingen, aber letztlich sollen die gemeinsamen Erfolge zusammen gefeiert werden. Ein Mitarbeiter wird da glücklich und zufrieden sein, wo er auch seine persönlichen Ziele erreichen kann. Und dorthin wird er langfristig auch hingehen und bleiben wollen, weil es hier eben echte Zusammenarbeit und einen kollegialen Zusammenhalt bei guter Führung und Erfolg gibt – und damit die Zukunft gestaltet wird!

Zitat

„ 100 % of employees are people.
100 % of customers are people.
100 % of investors are people.
If you don‘t understand people,
you don‘t understand business.“
Simon Sinek (britisch-US-amerikanischer
Autor und Unternehmensberater)

Dr. Silvija Franjic, Onlineredakteurin + Jobcoach

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