Selbstständige Tätigkeit : Hauptberufliche Selbstständigkeit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung
In der täglichen Praxis kommt es immer wieder vor, dass sich Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer um eine Stelle in einem Unternehmen bewerben und nebenher bereits eine selbstständige Tätigkeit ausüben. Übt jemand die selbstständige Tätigkeit hauptberuflich aus, hat das Auswirkungen auf die versicherungsrechtliche Beurteilung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.
Selbstständig erwerbstätig ist, wer als natürliche Person selbst in der Land- und Forstwirtschaft arbeitet, einen Gewerbebetrieb betreibt oder freiberuflich tätig ist.
Die Gewinnerzielungsabsicht, auf die die selbstständige Tätigkeit gerichtet sein muss, stellt dabei auf das sozialversicherungsrechtlich relevante Arbeitseinkommen ab. Dieses ist der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit; es umfasst neben den steuerrechtlich maßgeblichen Einkünften aus selbstständiger Arbeit auch Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft sowie aus einem Gewerbebetrieb. Die selbstständige Erwerbstätigkeit umfasst daher alle durch den Begriff des Arbeitseinkommens in Bezug genommenen und auf die Erzielung von Einnahmen gerichteten Handlungen. Das bedeutet, dass die Tätigkeit lediglich darauf gerichtet sein muss, positive Einnahmen zu erzielen. Dagegen wird nicht verlangt, dass tatsächlich Einnahmen erzielt werden.

Tätigkeiten, die nur aus Liebhaberei oder zum Zeitvertreib verrichtet werden, werden hingegen nicht zu Erwerbszwecken ausgeübt. Gleiches gilt für reine Vorbereitungshandlungen, die dazu dienen, eine selbstständige Tätigkeit aufzunehmen, es sei denn, diese entfalten im Geschäftsverkehr bereits Außenwirkung und sind nach dem zugrunde liegenden Gesamtkonzept ernsthaft und unmittelbar auf die spätere Geschäftstätigkeit ausgerichtet.
Von einer hauptberuflichen Selbstständigkeit ist bei Personen immer auszugehen, wenn diese Tätigkeit den Mittelpunkt des Erwerbslebens darstellt. Wie verhält es sich, wenn ein hauptberuflich Selbstständiger nebenher noch eine abhängige Beschäftigung ausübt? Dann besteht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung keine Versicherungspflicht.
Bei der Prüfung sind der Zeit- wie auch der Geldfaktor immer gleich zu gewichten. Bei dieser Beurteilung sind alle selbstständigen Tätigkeiten, auch die eines Land- oder Forstwirts oder eines Künstlers oder Publizisten, mitzuberücksichtigen.
Bei Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Erwerbstätigkeit regelmäßig mindestens einen Arbeitnehmer mehr als geringfügig beschäftigen, wird vermutet, dass sie hauptberuflich selbstständig erwerbstätig sind; als Arbeitnehmer gelten für Gesellschafter auch die Arbeitnehmer der Gesellschaft.
Die regelmäßige Beschäftigung von Arbeitnehmern in mehr als geringfügigem Umfang im Zusammenhang mit einer selbstständigen Tätigkeit stellt mithin für sich allein betrachtet zunächst ein entscheidendes Merkmal für eine hauptberuflich ausgeübte selbstständige Tätigkeit dar, ohne dass die wirtschaftliche Bedeutung und der zeitliche Umfang der selbstständigen Tätigkeit regelmäßig näher zu prüfen sind.
Bei selbstständig Tätigen, die mindestens einen Arbeitnehmer regelmäßig mehr als geringfügig beschäftigen, kann daher im Wege der gesetzlichen Vermutung generalisierend angenommen werden, dass sie aufgrund ihrer tatsächlichen Arbeitgebereigenschaft – unabhängig vom Umfang des persönlichen Arbeitseinsatzes – hauptberuflich selbstständig erwerbstätig sind.
Werden mehrere Arbeitnehmer geringfügig beschäftigt, deren Arbeitsentgelte bei Zusammenrechnung die Geringfügigkeitsgrenze überschreiten, ist Hauptberuflichkeit ebenfalls zu vermuten. Als regelmäßig sind solche Beschäftigungen anzusehen, die grundsätzlich auf Dauer angelegt sind, also nicht nur gelegentlich ausgeübt werden oder nur von kurzer Zeitdauer sind.

Die Vermutung kann jedoch widerlegt werden, indem der Selbstständige nachweist, dass trotz der Arbeitgeberstellung die selbstständige Tätigkeit seiner Lebensführung von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und ihrem zeitlichen Aufwand her nicht das Gepräge gibt und somit nicht hauptberuflich ausgeübt wird.
Wenn es gilt, die selbstständige Erwerbstätigkeit gegen eine oder mehrere abhängige Beschäftigungen gewichtend abzugrenzen, ist darauf abzustellen, ob die selbstständige Erwerbstätigkeit von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Umfang her die übrigen Erwerbstätigkeiten deutlich übersteigt. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird die selbstständige Tätigkeit nicht hauptberuflich ausgeübt. Die dazu erforderliche Prüfung ist im Zweifelsfall nicht schematisch, sondern im Rahmen einer Gesamtschau vorzunehmen. Eine solche Gesamtschau verhindert einerseits Zufallsergebnisse in den Fällen, in denen ein geringes Zurückbleiben bei einem Kriterium mit einem deutlichen Übersteigen beim anderen Kriterium zusammentrifft, und erlaubt andererseits, dass Besonderheiten wie z. B. im Falle eines Ausbildungsverhältnisses mit entsprechend geringer Vergütung berücksichtigt werden können, indem eine höhere Bewertung der wirtschaftlichen Bedeutung dieses Entgelts im Hinblick auf die angestrebte abhängige Beschäftigung im späteren Beruf vorgenommen wird.
Lässt sich nach diesen Grundannahmen das Vorliegen einer hauptberuflich selbstständigen Erwerbstätigkeit nicht eindeutig bestimmen oder liegen Anhaltspunkte für andere Gegebenheiten vor oder gilt es, Einwände gegen Grundannahmen zu prüfen, ist im Rahmen einer Gesamtschau bei Vergleich der Kriterien der wirtschaftlichen Bedeutung und des zeitlichen Aufwands der jeweiligen Erwerbstätigkeiten festzustellen, ob die selbstständige Erwerbstätigkeit deutlich überwiegt. Für Prüfung der wirtschaftlichen Bedeutung der selbstständigen Tätigkeit einerseits und der Beschäftigung andererseits sind das Arbeitseinkommen und das Arbeitsentgelt miteinander zu vergleichen.
Wann von einem „deutlichen Überwiegen“ auszugehen ist, hat die Rechtsprechung bislang nicht konkret beantwortet. Übersteigt die selbstständige Tätigkeit sowohl von der wirtschaftlichen Bedeutung als auch vom zeitlichen Aufwand her die übrigen Erwerbstätigkeiten um jeweils mindestens 20 Prozent, kann von einem deutlichen Überwiegen ausgegangen werden; der vorgenannte Prozentsatz ist allerdings kein starrer Wert, sondern dient der Orientierung. Eine neben einer Beschäftigung nicht hauptberuflich ausgeübte selbstständige Tätigkeit wird nicht dadurch „hauptberuflich“, dass in Fällen der kurzfristigen Unterbrechung des fortdauernden Arbeitsverhältnisses oder im Fall der Elternzeit kein Arbeitsentgelt gezahlt wird, wenn die selbstständige Tätigkeit in dieser Zeit nicht ausgeweitet wird.

Im Sinne einer den Belangen aller Beteiligten Rechnung tragenden Abgrenzung, die vor allem verfahrenspraktisch relativ einfach durchzuführen ist, kann von folgenden Grundannahmen ausgegangen werden:
- bei Arbeitnehmern, die aufgrund tariflicher, betriebsbedingter oder arbeitsvertraglicher Regelungen vollschichtig arbeiten oder deren Arbeitszeit der regelmäßigen Wochenarbeitszeit vergleichbarer Vollbeschäftigter des Betriebs entspricht, ist anzunehmen, dass – unabhängig von der Höhe des Arbeitsentgelts – daneben für eine hauptberuflich selbstständige Erwerbstätigkeit kein Raum mehr bleibt
- bei Arbeitnehmern, die mehr als 20 Stunden wöchentlich arbeiten und deren monatliches Arbeitsentgelt mehr als die Hälfte der monatlichen Bezugsgröße. beträgt, ist anzunehmen, dass daneben für eine hauptberuflich selbstständige Erwerbstätigkeit kein Raum mehr bleibt (50% der monatlichen Bezugsgröße 2023: 1.697,50 Euro)
- bei Arbeitnehmern, die an nicht mehr als 20 Stunden wöchentlich arbeiten und deren Arbeitsentgelt nicht mehr als die Hälfte der monatlichen Bezugsgröße beträgt, ist anzunehmen, dass die selbstständige Erwerbstätigkeit hauptberuflich ausgeübt wird (75 % der monatlichen Bezugsgröße 2023: 2.546,25 Euro).
Ulrich Frank, Sozialversicherungsfachwirt und Wirtschaftsjournalist