Im Blick: Sozialversicherungsrecht (Ausgabe 3/2023)
Sozialwahl 2023
Alle sechs Jahre werden die „Parlamente“ der Sozialversicherungsträger, also die wichtigsten Gremien der Selbstverwaltung, neu gewählt. In diesem Jahr ist es wieder einmal so weit. Dabei handelt es sich um die Verwaltungsräte (bei den Krankenkassen) und um die Vertreterversammlungen der gesetzlichen Unfallversicherung und der Rentenversicherung. Grundsätzlich sind die Gremien paritätisch besetzt, also zu gleichen Teilen von Arbeitgebervertretern und Versicherten. Eine Ausnahme ist aber beispielsweise die Bundesagentur für Arbeit. Hier gibt es eine sogenannte „dritte Bank“, das sind Vertreter des Staates. Grund ist, dass es sich bei der Bundesagentur um einen sehr staatsnahen Versicherungsträger handelt.
Auch bei Ersatzkrankenkassen kann es sein, dass dort keine paritätische Selbstverwaltung besteht, weil den Gremien nur Versichertenvertreter angehören. Bei Betriebskrankenkassen besteht die Arbeitgeberseite in manchen Fällen nur aus wenigen Vertretern, die aber über ein sogenanntes gewichtetes Stimmrecht verfügen, zusammen also über dieselbe Stimmenanzahl verfügen wie die Seite der Versichertenvertreter.
Und noch eine Ausnahme: Auch in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung gibt es eine „dritte Bank“. Diese Bank wird von „Selbstständigen ohne fremde Arbeitskräfte“ gebildet. Das sind in erster Linie Landwirte, die außer Familienangehörigen keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen.
Die Versicherten wählen bei den Versicherungsträgern, bei denen sie versichert sind, also bei der Rentenversicherung, der eigenen Krankenkasse und der für sie zuständigen Unfallversicherung. Arbeitgeber wählen bei den Versicherungsträgern, bei denen ihre Beschäftigten versichert sind, ggf. also auch bei mehreren Krankenkassen.
Gewählt wird aber nicht immer. Bei vielen Versicherungsträgern gibt es eine sogenannte Friedenswahl, das ist eine Wahl ohne Wahlhandlung. Das ist immer dann der Fall, wenn es genauso viele Kandidaten wie zu vergebende Mandate gibt. Oder wenn es nur eine Liste gibt. Dann fällt die tatsächliche Wahl aus, und alle Benannten sind automatisch „gewählt“. Eine solche Friedenswahl findet immer dann statt, wenn sich alle Interessenten darüber einig sind, keine Urwahl zu wollen, und die Verteilung der Mandate untereinander aushandeln. Dies praktiziert vor allem die Arbeitgeberseite, sodass in den letzten Jahrzehnten für die Arbeitgebervertreter keine Urwahlen stattgefunden haben. Aber auch bei der Versichertenseite ist dieses Verfahren sehr verbreitet.
Urwahlen gibt es, für die Versicherten in diesem Jahr bei der gesetzlichen Rentenversicherung und den Ersatzkassen TK, Barmer, DAK, KKH und HKK.
Rückforderung von Kurzarbeitergeld und die Folgen
Aufgrund der Corona-Pandemie und der damit verbundenen extremen Häufung von Anträgen auf Kurzarbeitergeld wurden diese von der Bundesagentur für Arbeit nicht – wie normalerweise üblich – im Vorwege geprüft. Vielmehr erfolgte die Auszahlung unter dem Vorbehalt der späteren Nachprüfung.
In zahlreichen Fällen ist es dazu gekommen, dass Kurzarbeitergeld später ganz oder teilweise zurückgefordert wurde (und noch wird). Die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger hatten sich darauf verständigt, dass in diesen Fällen vom Arbeitgeber keine rückwirkende Korrektur der versicherungsrechtlichen Beurteilung und der gezahlten Beiträge vorgenommen werden musste. Vielmehr wurde auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes abgestellt, dass versicherungsrechtliche Beurteilungen nicht rückwirkend geändert werden sollten.
Diese Auffassung halten die Spitzenverbände nicht mehr aufrecht. Für Abrechnungszeiträume ab Januar 2023 kommt es nicht nur zur Rückforderung von Kurzarbeitergeld, sondern es muss auch die Beitragsberechnung korrigiert werden. Das wirkt sich insbesondere auf die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung aus, denn von dem – angenommenen – fiktiven Entgelt wurden hierzu ja keine Beiträge gezahlt. Wenn es sich bei dem ausgezahlten Betrag dann rückwirkend betrachtet um „normales“ Entgelt und nicht um fiktives Entgelt handelt, müssen die Beiträge dafür entsprechend nachgezahlt werden. Das gilt auch für die anderen Zweige, soweit durch das Kurzarbeitergeld die Beiträge verkürzt gezahlt wurden. Bei einer Änderung der Beiträge müssen ggf. auch die darauf basierenden Entgeltmeldungen berichtigt werden.
Dabei ist zu beachten, dass der Abzug des Arbeitnehmeranteils in der Regel nicht mehr möglich ist. Zulässig ist der Abzug grundsätzlich nur für die letzten drei abgerechneten Monate.
Für längere zurückliegende Zeiten gilt dies nur dann, wenn den Arbeitgeber kein Verschulden am unterbliebenen Abzug trifft. Das dürfte in diesen Fällen kaum zutreffen, da dem unterbliebenen Abzug eine fehlerhafte Beurteilung durch den Arbeitgeber zugrunde liegt.
Für Abrechnungszeiträume vor dem 01.01.2023 haben sich die Spitzenverbände darauf verständigt, keine rückwirkenden Korrekturen zu verlangen. Grundlage ist ein Besprechungsergebnis vom 14.02.2023.
Aus sv.net wird das Meldeportal
Seit 2001 gibt es sv.net, die zertifizierte Ausfüllhilfe für die elektronische Übermittlung der Melde- und Beitragsdaten. Hintergrund dafür war die Einführung der Verpflichtung der Arbeitgeber, Meldungen und Beitragsnachweise digital an die Einzugsstellen zu übermitteln. In der Regel geschieht das aus einem geprüften Entgeltabrechnungsprogramm heraus oder eben über eine elektronische Ausfüllhilfe. Die Sozialversicherungsträger stellten mit sv.net allen Arbeitgebern, unabhängig von der verwendeten Abrechnungssoftware, eine meist kostenfreie Übermittlungsmöglichkeit zur Verfügung.
Im Laufe der Jahre wurde sv.net immer weiter ausgebaut und insbesondere an die erweiterten Anforderungen zur elektronischen Datenkommunikation zwischen Arbeitgebern und Einzugsstelle bzw. Versicherungsträgern angepasst.
Damit ist nur Schluss. sv.net läuft Ende des Jahres aus. Stattdessen stellen die Versicherungsträger ab Juli 2023 ein Meldeportal zur Verfügung. Damit wird eine gesetzliche Anforderung umgesetzt. Ab 2024 werden die Nutzer eine geringfügige Kostenbeteiligung leisten müssen. Auch sv.net war zuletzt nur in begrenztem Umfang kostenfrei.
Was ist neu? Das Portal speichert – anders als die bisherige Online-Version von sv.net – die Daten. So müssen nicht bei jeder neuen Meldung wieder alle persönlichen Daten erneut eingegeben werden. Zudem können die gespeicherten Daten für die elektronisch unterstützte Betriebsprüfung an die Rentenversicherung übermittelt werden.
Der Zugang zum Portal erfolgt über das ELSTER-Zertifikat. Das entspricht den Vorgaben der EU (Verordnung Single Digital Gateway) und dem Online-Zugangsgesetz.
sv.net läuft zunächst noch als paralleles Angebot, wird aber Ende des Jahres abgeschaltet.
Fragen und Antworten zur Inflationsausgleichsprämie
Die Bundesregierung will Arbeitnehmer bei den Folgen von Energiekrise und Inflation unterstützen. Zu diesem Zweck wurde die Inflationsausgleichsprämie eingeführt, die der Arbeitgeber bis zu einer Höhe von 3.000 Euro steuer- und damit beitragsfrei an seine Arbeitnehmer auszahlen kann. Damit die Steuerfreiheit gewährleistet ist, sind allerdings einige Bedingungen zu erfüllen. So muss die Zahlung bis spätestens Ende 2024 erfolgen und der Betrag muss zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Lohn gezahlt werden. Es darf sich also nicht um eine Entgeltumwandlung handeln. Die Auszahlung kann in mehreren Teilen erfolgen, der Gesamtbetrag darf nicht mehr als 3.000 Euro betragen. Eventuell höhere Beträge unterliegen dann der Steuer- und Beitragspflicht.
Auch wenn es sich so einfach anhört, gibt es doch eine Reihe von Fragen zur Inflationsausgleichszahlung. Diese hat das Bundesfinanzministerium in einem Frage-Antwort-Katalog (FAQ) zusammengestellt. Dieser wird bei Bedarf erweitert und angepasst.
Weg ist er – der Sozialversicherungsausweis
Eine Ära ist zu Ende gegangen. Der Sozialversicherungsausweis ist seit Anfang des Jahres Geschichte. Damit endete auch die Pflicht der (neuen) Mitarbeiter zur Vorlage bei Beschäftigungsbeginn.
Der Sozialversicherungsausweis hatte eine wechselhafte Geschichte. Zeitweise wurde er als Instrument zur Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung genutzt. So mussten in einigen Branchen, das sind diejenigen, die heute zur Sofortmeldung verpflichtet sind, die Mitarbeiter den Ausweis mit einem Lichtbild versehen und bei der Arbeit mitführen. Das Problem: Der Ausweis war nicht fälschungssicher. Deshalb wurde die Mitführpflicht durch die Pflicht zur Mitführung eines (fälschungssicheren) Personaldokuments ersetzt.
Durch die stetige Entwicklung bei der digitalen Kommunikation zwischen Arbeitgebern und Einzugsstellen bzw. den Sozialversicherungsträgern direkt hat der Gesetzgeber entschieden, den Ausweis abzuschaffen. Die Rentenversicherungsnummer wird vom Arbeitgeber jetzt im elektronischen Abfrageverfahren von der Rentenversicherung abgerufen – wenn sie nicht bereits bekannt ist. Das Anfrageverfahren funktioniert inzwischen so gut, dass die Antwort oft schon nach wenigen Minuten vorliegt. Gibt es noch keine Rentenversicherungsnummer für den neuen Mitarbeiter, muss der Arbeitgeber sie mit den entsprechenden zusätzlichen Angaben beantragen.
Der Versicherte erhält bei Vergabe einer neuen Rentenversicherungsnummer nicht mehr einen Sozialversicherungsausweis, sondern ein Schreiben als Versicherungsnummernachweis. Eine Vorlage beim Arbeitgeber ist nicht mehr vorgesehen.
Und so sieht der Versicherungsnummernachweis aus:
Sofortmeldung – Notwendigkeit kann man prüfen lassen
In den meisten Fällen ist es klar, welche Unternehmen zur Abgabe der Sofortmeldung verpflichtet sind. Es kann aber im Einzelfall durchaus fraglich sein. Will der Arbeitgeber dann den Aufwand für die Sofortmeldungen sparen, sollte er sich absichern, dass für ihn wirklich keine Verpflichtung besteht. Das hat auch ein Unternehmen bei seiner zuständigen Einzugsstelle versucht – die ist aber dafür nicht zuständig. Das hat das Bundessozialgericht entschieden (Urteil vom 13.03.2023 – Aktenzeichen B 12 KR 3/21 R) und vielmehr die Rentenversicherung in die Pflicht genommen.
Grund dafür: Die Sofortmeldung geht direkt – ohne Beteilligung der Einzugsstelle – an die Rentenversicherung, Arbeitgeber haben deshalb die Möglichkeit, im Rahmen einer (vorgezogenen) Betriebsprüfung nach § 28p Sozialgesetzbuch (SGB) IV durch den für sie zuständigen Rentenversicherungsträger die verbindliche Klärung ihrer Sofortmeldepflicht zu erreichen. Das ergibt sich zum einen aus der umfassenden Bezugnahme in § 28p SGB IV auf § 28a SGB IV und zum anderen aus der Kompetenzverteilung zwischen den Einzugsstellen und den Rentenversicherungsträgern. Zudem stehen Arbeitgeber einer Vielzahl von Einzugsstellen und damit gegebenenfalls unterschiedlichen Einschätzungen über die Sofortmeldepflicht, aber nur einem betriebsprüfenden Rentenversicherungsträger gegenüber, so das Gericht.
Informationen zur Betriebsprüfung
Die Deutsche Rentenversicherung hat im Rahmen ihrer Broschürenreihe „Auf den Punkt gebracht“ die Ausgabe „Prüfung von A-Z“ in aktualisierter Fassung herausgegeben. Darin werden alle wichtigen Fragen und Grundlagen zur Betriebsprüfung der Rentenversicherung beantwortet. Weiterführende Links zu Beiträgen aus der Zeitschrift der Rentenversicherung (summa summarum) runden den Inhalt ab. Die Neuauflage ist vor allem vor dem Hintergrund der obligatorischen Teilnahme an der elektronisch unterstützten Betriebsprüfung interessant.
Jürgen Heidenreich