Blog „Entgelt & Co.“ – ein kritischer Blick hinter die Kulissen : Zwischen Spiel und Bildung: Erzieher*in im Fokus
Der Beruf von Erzieher*innen ist von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen und kann eine herausfordernde, aber auch erfüllende Aufgabe sein.

Es ist wichtig, zu verstehen, dass Erzieher*innen vor vielen Herausforderungen stehen, darunter Zeitmanagement, schwierige Elternbeziehungen, emotionale Belastungen und ein hohes Arbeitsaufkommen. Doch welche Unterstützung und Ressourcen stehen ihnen zur Verfügung und wie können Arbeitgeber*innen und ggf. die Politik dazu beitragen, das Verständnis für die Bedeutung der Arbeit von Erziehern*innen zu erhöhen und die Wertschätzung für ihren Einsatz in der Bildung unserer Kinder zu steigern?
Um etwas tiefer in den Beruf einzutauchen und mehr über die Herausforderungen, aber auch über die Chancen, die er bietet, zu erfahren, habe ich mit Jana Pohland, Erzieherin in der Kita Waldspielhaus in Berlin-Grünau gesprochen.

Was ist Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung im Beruf des/r Erziehers*in und wie können Sie diese meistern?
Die größte Herausforderung als Pädagog*in in der Kita ist es meiner Meinung nach, mit den bestehenden Rahmenbedingungen die vielen Aufgaben so zu bewältigen, dass wir selbst mit einem zufriedenen Gefühl in den Feierabend gehen. Des Weiteren ist es oft schwierig, alle Bedürfnisse der unterschiedlichen Akteur*innen in der Kita (Kinder, Erziehungsberechtigte und Kolleg*innen) unter einen Hut zu bekommen und für alle ausreichend Zeit zur Verfügung zu haben.
Wie wir das meistern? Das frage ich mich auch oft. Viele gehen über ihre Grenzen. Ich versuche, die Frustration über die schlechten Rahmenbedingungen in Aktion umzuleiten und mich für eine gerechte und inklusive Bildung einzusetzen. Das gemeinsame Handeln gibt mir Hoffnung, dass sich vielleicht auf politischer Ebene etwas verändert. Auch wenn mir bewusst ist, dass es lange dauern wird und wir einen langen Atem haben müssen.
Was mir extrem viel Kraft gibt und mich immer wieder herausfordernde Zeiten meistern lässt, ist unser Zusammenhalt im Team und das sind die wundervollen Momente mit den Kindern im Wald. Bei der Arbeit ist nichts schöner, als einem Kind bei seinen Lern- und Entwicklungsprozessen zusehen zu können, diese im Kleinteam zu analysieren und den stolzen Erziehungsberechtigten davon zu erzählen!
Wie sieht ein typischer Tag im Beruf eines Erziehers/einer Erzieherin aus?
Jeder Tag ist anders, das ist auf jeden Fall konstant. Da ich eine 30-Stundenwoche habe, variieren meine Arbeitszeiten, je nachdem, welchen Dienst ich habe. Frühdienst wäre beispielsweise von 7:00 Uhr bis 13:00 Uhr, der frühe Dienst von 7:45 bis 14:15 Uhr, mit einer halbstündigen Pause dazwischen oder 8:30 Uhr bis 14:30 Uhr oder mit Pause bis 15 Uhr … Der Spätdienst wäre für mich von 11:00 Uhr bis 17:30 Uhr.
Gehen wir von dem frühen Dienst von 7:45 Uhr bis 14:15 Uhr aus, dann sieht mein Tag wie folgt aus:
Ankommen in der Kita, schauen, wer von den Kolleginnen heute da ist, absprechen, wer wo am Nötigsten gebraucht wird. Im Normalfall in meine Gruppe gehen, die Kinder begrüßen und bei dem Abschied von ihren Eltern begleiten, danach mit den Kindern frühstücken. Nach dem Frühstück gehen wir raus und sind im Garten oder Gartenwald bis um 9:00 Uhr. Wenn zwei Gruppenerzieherinnen da und alle anderen Gruppen auch gut versorgt sind, gehen wir los in den Wald. Wir entscheiden, zu welchem Waldplatz wir gehen wollen. Das tun wir manchmal durch eine demokratische Abstimmung, manchmal treffen wir Erzieher*innen eine Vorauswahl oder entscheiden aufgrund von Zeit oder geplanten Aktivitäten. Die Zeit im Wald nutzen wir, um mit den Kindern situativ zu arbeiten, sie zu beobachten, uns auszutauschen oder gezielte Aktivitäten mit den Kindern (Morgenkreis, Lieder, Angebote) durchzuführen. Bis um 11:00 Uhr sind wir draußen und kommen dann zurück in die Kita zum Mittagessen. Von 12:00 Uhr bis 14:00 Uhr ist die Schlaf- bzw. Mittagszeit, in der wir Kolleg*innen uns zur „Schlafwache“ und Mittagsbetreuung im Garten aufteilen und zur Pause gegenseitig ablösen. Um 14:00 Uhr gibt es in den Gruppen Vesper. Der Tischdienst holt den Wagen, der für unsere Gruppe vom Koch vorbereitet wurde, deckt den Tisch, wir schmieren Brote, verteilen Obst und Trinkkannen. Wichtig ist uns, die Kinder möglichst viel selbstständig machen zu lassen. Wenn sie nicht weiterkommen, können sie uns nach Unterstützung fragen. Dann treffe ich letzte Absprachen für den nächsten Tag oder gebe Informationen zur Übergabe der Kinder an die Erziehungsberechtigten weiter und verabschiede mich.
Während der gesamten Arbeitszeit sind wir Ansprechpartner*innen für die Erziehungsberechtigten in Bringe- und Abholsituationen, für die Kinder immer und für unsere Kolleg*innen. Wir sind zuständig für die individuelle Begleitung aller an unserer Kita Beteiligten sowie für das Vorgeben und Führen des Rahmens (Regeln, Ablauf etc.) des Kitatages.
Was sind die wichtigsten Qualitäten, die ein/e Erzieher*in haben sollte?
Empathie, Geduld, kommunikative Fähigkeiten, Mut zur Selbstreflexion, Teamfähigkeit.
Gibt es Möglichkeiten, Schulungen oder Weiterbildungen zu erhalten, um die pädagogischen Fähigkeiten weiter zu verbessern?

Ja, natürlich! Es gibt viele Angebote zu Fort- und Weiterbildungen. Das Problem ist der Faktor Zeit. Zum Beispiel habe ich letzte Woche an einer Fortbildung zur Sprachentwicklung und Sprachstörungen bei Kindern von null bis sechs Jahren teilgenommen. Diese ging sechs Stunden, d. h. umfasste meinen ganzen Arbeitstag. Also war ich an diesem Tag gar nicht in der Kita und meine Kolleg*innen mussten mein Fehlen kompensieren. Das geht nicht immer. Wenn die Personalsituation es nicht zulässt, können wir dementsprechend nicht an Fort-und Weiterbildungen teilnehmen. Es ist eben immer mit Mehrarbeit für die Kolleg*innen verbunden. Gleichzeitig ermutigt uns unser Träger, uns weiterzubilden, und bietet selbst viele Fortbildungen für uns an, was ich sehr gut finde. Ich bin überzeugte Vertreterin des lebenslangen Lernens. Leider geben es die Rahmenbedingungen nicht immer her.
Fühlen Sie sich angemessen bezahlt und erhalten Sie ausreichende Benefits wie beispielsweise Gesundheitsversorgung oder eine betriebliche Altersvorsorge?
Vielen Dank für diese Frage. Ich und meine Familie kommen mit meinem Gehalt gut klar. Im Vergleich dazu, wie viel Menschen in anderen Berufen verdienen, die weit weniger Verantwortung tragen als wir Erzieher*innen, finde ich unsere Bezahlung sehr unfair! Wenn wir in der frühkindlichen Bildung schlechte Arbeit leisten, haben die Pädagog*innen in der Schule sehr viel mehr zu tun, im schlimmsten Fall auch die Jugendämter, Sozialämter und später das Arbeitsamt. Das kostet die Gesellschaft weit mehr, als von Anfang an entschieden in eine gerechte und inklusive Bildung zu investieren und die Gehälter anzupassen. Laut TVL-Berlin sind Erzieher*innen in der Entgeltgruppe S8a eingruppiert, Gymnasiallehrer*innen in der Entgeltgruppe 13. Aber wer von uns hat einen größeren Anteil am Entwicklungs- und Bildungsprozess der Kinder? In welchem Alter werden die Weichen gestellt? Wer trägt also mehr Verantwortung? Nicht nur für die einzelnen Menschen, sondern auch für die gesamte Gesellschaft, denn wer bildet die Zukunft? Unser Träger schenkt uns einen Gesundheitstag im Jahr. Eine betriebliche Altersvorsorge wird vom Arbeitgeber angeboten.
Gibt es Bereiche, in denen Sie sich von Ihrem/r Arbeitgeber*in besser unterstützt fühlen könnten, oder sehen Sie Möglichkeiten, Ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern, um die Arbeit mit den Kindern und den Eltern effektiver zu gestalten?
Was sich verändern müsste und worum wir unseren Arbeitgeber gebeten haben, sich politisch einzusetzen, ist:
- ein besserer Personalschlüssel
- keine Anrechnung von Auszubildenden auf den Personalschlüssel
- weniger Bürokratie, mehr direkte Kommunikation
- bessere Bezahlung
Daher haben sich unser Abteilungsleiter und Kolleg*innen aus anderen Pfefferwerk-Kitas mit Staatssekretär Herrn Bozkurt getroffen und sich dafür starkgemacht. Des Weiteren ist unser Träger vernetzt im Paritäter, der sich als Netzwerk verschiedener Träger für bessere Arbeitsbedingungen einsetzt. Es passiert also schon einiges, die Frage ist nur, wann sich was wie verändert und wie es sich für uns „an der Basis“ auswirkt.
Was sollten Arbeitgeber*in unternehmen, um den Beruf besser zu fördern und die Attraktivität des Berufs zu erhöhen?
Die Arbeitgeber sollten politisch viel mehr Druck machen, sie müssen weiter vernetzen und die „Lobby-Arbeit“ erhöhen.

Wie unterstützt die Regierung den Erzieher*innenberuf in Bezug auf Löhne und Arbeitsbedingungen?
Nicht ausreichend. Der Fachkräftemangel ist eklatant und wird sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Das Image des Erzieher*innenberufs ist nach wie vor zu schlecht und die Rahmenbedingungen sind wenig attraktiv. Da besteht dringend Handlungsbedarf, wenn das System nicht kollabieren soll.
Welche Schritte unternimmt die Regierung bzw. sollte sie unternehmen, um sicherzustellen, dass jeder Kindergarten oder jede Kita über ausreichend qualifizierte Erzieher*innen verfügt?
Puh, das sind zwei sehr unterschiedliche Fragen. Ich beziehe mich auf die zweite Frage, das sollte die Regierung tun:
- Erzieher*innenausbildung mehr fördern
- Auszubildende nicht auf den Personalschlüssel anrechnen
- Beruf durch soziale Anerkennung und finanziell attraktiv gestalten
- Ausbildungsoffensive starten
- Abschlüsse aus dem Ausland unkompliziert anerkennen
- freie Träger als gleichwertig zu staatlichen Einrichtungen anerkennen und dementsprechend finanzieren
Was sollte von der Regierung geändert bzw. verbessert werden bei der Bildung und Betreuung von Kindern?
Grundlegend ist das Verständnis von Bildung. Deutschland besitzt eine extrem individualisierte Gesellschaft. Deshalb sollten individuelle Lernprozesse im Vordergrund stehen. Das bedeutet, dass Lernen ganz anders gedacht werden muss, vor allem im System Schule. Ausgehend von individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen, die sich nicht in „Mathe, Deutsch, Englisch“ pressen lassen und erst recht nicht mit Noten bewertet werden können. Diesen individuellen Fähigkeiten, Lern- und Entwicklungsprozessen einen Rahmen als Teil einer Gemeinschaft, unserer Gesellschaft zu geben, ist meiner Meinung nach das Wichtigste, was Bildungseinrichtungen leisten sollten. Also Kita und Schule. Da in den ersten Lebensjahren eines Menschen die meisten grundlegen den Entwicklungsschritte passieren, sollte der Fokus auf der frühkindlichen Bildung liegen. Dabei geht es um eine Begleitung dieser Prozesse, um auf diese Weise selbstständige, selbstbestimmte Individuen mit Wissen um ihre eigenen Stärken, Interessen und auch mit Entwicklungspotenzialen aus der Schule zu entlassen, die aktiv ihr Leben gestalten und ihren Teil zum Gelingen der Gesellschaft beitragen. Die Gemeinschaft sollte dabei immer im Vordergrund stehen.
Auch wirtschaftlich rechnet sich die Investition in Bildung, jeder investierte Euro in eine gelungene Bildungskarriere erspart dem Staat später Ausgaben für Sozial-, Jugen- und Arbeitslosenhilfe und in manchen Fällen auch im Bereich der Kriminalität. Es ist sehr komplex, ich hoffe, meine Gedanken dazu sind einigermaßen verständlich in der Kürze. Es gibt tolle Beispiele von Schulen, die als Vorbilder genutzt werden könnten, in denen inklusiv und chancengerecht gearbeitet wird. Der Schlüssel für eine gute Begleitung in der Kita sowie der individuellen Bildungsprozesse in der Schule sind ein guter Personalschlüssel (Kinder unter drei: 1:3, Kinder über drei: 1:7, Grundschule 1:15) und eine angemessene Gruppengröße (Kita: 15, Schule: 20), um ausreichend Zeit und Kapazität zu haben. Des Weiteren halte ich multiprofessionelle Teams und ausgewiesene Zeit für Team- und Beziehungsarbeit für wesentlich, um auch für uns zufriedenstellend arbeiten zu können.
Frau Pohland, vielen Dank für das Gespräch!
Fazit
Natürlich ist wichtig zu beachten, dass jede/r Arbeitgeber*in anders ist und dass es kein universelles Rezept für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen eines/r Erziehers*in gibt. Doch eine politischgesellschaftliche Veränderung des Bildungsbegriffs im Sinne der Anerkennung der extremen Wichtigkeit der Bildungsprozesse in der frühkindlichen Bildung vor der Schule kann dazu beitragen, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Frühkindliche Bildung hat einen enormen Einfluss auf die Entwicklung und Bildung von Kindern und somit auch auf die zukünftige Gesellschaft. Viele Studien belegen, dass frühkindliche Bildung eine wichtige Rolle bei der Förderung von kognitiven, soziaen und emotionalen Fähigkeiten spielt. Es ist daher wichtig, dass politische Entscheidungen auf valide Studien und Forschungsergebnisse gestützt sind, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen.
Das Interview führte Janette Rosenberg