Im Blick: Sozialversicherungsrecht (Ausgabe 4/2022)
Unfall nach Wartung des Jobrads kann Arbeitsunfall sein
Immer häufiger bieten Unternehmen ihren Mitarbeitern das sogenannte Jobrad an. Jobrädern sind Fahrräder oder E-Bikes, die der Arbeitgeber least und dann seinen Beschäftigten zur privaten Nutzung überlässt. Meistens geschieht das über eine Barlohnumwandlung, kann aber auch als zusätzliche Leistung gewährt werden. Die Räder müssen – das schreibt meist schon der Leasingvertrag vor – regelmäßig gewartet werden. Diese Pflicht muss vom Arbeitnehmer als Nutzer des Rades übernommen werden.
Auf dem Rückweg von einer solchen Wartung hatte eine Beschäftigte einen Unfall. Der Arbeitgeber hatte die Mitarbeiter zur Durchführung der Wartung im Überlassungsvertrag verpflichtet und sogar noch per E-Mail daran erinnert. Die Berufsgenossenschaft lehnt die Anerkennung als Arbeitsunfall mit der Begründung ab, es handele sich um eine private Verrichtung. Das Sozialgericht gab der Versicherung Recht, das Landessozialgericht Baden-Württemberg sah das aber anders (Urteil vom 21.10.2021 – Az.: L 1 U 779/21).
Zwar sei die Nutzung eines Jobrads grundsätzlich Privatsache, aber durch die Verpflichtung zur Wartung im Rahmen des Überlassungsvertrages hätte es sich in diesem Fall um eine betriebsbezogene Verrichtung gehandelt. Ein weiterer Aspekt sei die E-Mail des Arbeitgebers, die zur Einhaltung dieser Verpflichtung aufforderte. Nach Auffassung des Gerichts befand sich die Arbeitnehmerin auf dem direkten Weg von der Arbeit nach Hause, als der Unfall passierte.
Unfallversicherungsschutz bei Fahrgemeinschaften
In vielen Fällen kann ein Umweg auf dem Weg zur oder von der Arbeit den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung kosten. Denn der gilt grundsätzlich nur auf dem direkten Weg von oder zur Arbeit.
Aber es gibt Ausnahmen. Insbesondere bei Fahrgemeinschaften, die durch die jüngsten Erhöhungen der Benzinpreise weiter an Bedeutung gewonnen haben, gelten besondere Bestimmungen. Mitglieder von Fahrgemeinschaften sind auch dann gesetzlich unfallversichert, wenn sie nicht zusammen von einem Treffpunkt aus starten. Die Fahrgemeinschaft muss zudem nicht regelmäßig stattfinden.
Versichert sind das Abholen der einzelnen Mitfahrerinnen und Mitfahrer von zu Hause sowie das Absetzen an unterschiedlichen Arbeitsstellen und Wohnorten.
Die Reihenfolge sollte dabei stets so gewählt werden, dass die gefahrene Strecke nicht unnötig verlängert wird. Der Weg muss nicht der von der Entfernung her kürzeste, aber der verkehrsgünstigste sein. Wer z. B. einen Stau umfahren will und darum nicht den kürzesten Weg wählt, gefährdet den Versicherungsschutz nicht. Wird die Fahrt allerdings für einen privaten Grund unterbrochen oder ein Umweg gewählt – zum Beispiel für einen Zwischenstopp in der Bäckerei –, erlischt der Versicherungsschutz und beginnt erst wieder, wenn der ursprüngliche Weg zum Ziel wieder aufgenommen wird.
Versicherungsschutz bei Betriebsbesichtigungen
Bei der Besichtigung des Unternehmens im Rahmen eines eintägigen unentgeltlichen „Kennenlern-Praktikums“ steht ein Arbeitsplatzbewerber unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Dies hat der 2. Senat des Bundessozialgerichts am 31.03.2022 entschieden (Aktenzeichen B 2 U 13/20 R).
Die arbeitsuchende Klägerin absolvierte bei einem Unternehmen ein unentgeltliches eintägiges „Kennenlern-Praktikum“ auf der Grundlage einer „Kennenlern-/ Praktikums-Vereinbarung“ mit diesem Unternehmen. Während des „Kennenlern-Praktikums“ fanden unter anderem Gespräche, eine Betriebsführung, ein fachlicher Austausch mit der IT-Abteilung und zum Abschluss die Besichtigung eines Hochregallagers statt. Bei der Besichtigung des Hochregallagers stürzte die Klägerin und brach sich den rechten Oberarm.
Anders als die beklagte Berufsgenossenschaft und die Vorinstanzen hat das Bundessozialgericht festgestellt, dass die Klägerin einen Arbeitsunfall erlitten hat. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Unfalls Teilnehmerin einer Unternehmensbesichtigung. Teilnehmer einer Unternehmensbesichtigung sind nach der Satzung der beklagten Berufsgenossenschaft – im Unterschied zu Satzungen anderer Unfallversicherungsträger – unfallversichert. Das eigene – unversicherte – Interesse der Klägerin am Kennenlernen des potenziellen zukünftigen Arbeitgebers steht dem Unfallversicherungsschutz kraft Satzung hier nicht entgegen. Die Satzungsregelung der Beklagten ist nicht auf Personen beschränkt, deren Aufenthalt im Unternehmen ausschließlich der Besichtigung dient. Unternehmer sollen vielmehr umfassend von Haftungsrisiken befreit werden, die durch erhöhte Gefahren bei Unternehmensbesuchen entstehen können.
In vergleichbaren Fällen kommt es nach dem Urteil also darauf an, ob es eine entsprechende Satzungsregelung gibt, also welche Berufsgenossenschaft für den Betrieb zuständig ist.
Einheitliche Unbedenklichkeitsbescheinigung – bald digital und im Abo
Für die Bewerbung um einen öffentlichen Auftrag benötigen die Unternehmen in den meisten Fällen eine sogenannte Unbedenklichkeitsbescheinigung. Damit wird die gewerberechtliche Zuverlässigkeit nachgewiesen. Die Bescheinigung bestätigt die pünktliche Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge und wird von den Einzugsstellen (Krankenkasse, Minijobzentrale) und den Berufsgenossenschaften ausgestellt. Im Übrigen verlangen auch einige private Auftraggeber einen entsprechenden Nachweis. Denn damit können sie die Freistellung von der Unternehmerhaftung beispielsweise im Baugewerbe erreichen.
In der Vergangenheit hatte jede ausstellende Stelle ihr eigenes Verfahren und eigene Vordrucke. Seit Anfang des Jahres gibt es einen einheitlichen Vordruck, der von allen ausstellenden Versicherungsträgern genutzt wird.
Und nicht nur das: Auch die Unbedenklichkeitsbescheinigung wird digital. Zwar bieten einige Aussteller schon heute die Möglichkeit, eine Bescheinigung online auf deren Internetseite im Arbeitgeberservice zu beantragen, aber voraussichtlich ab 2023 soll die Anforderung im Rahmen des Meldeverfahrens durch die elektronische Datenübertragung ermöglicht werden.
Noch einfacher macht es die Minijobzentrale den Unternehmen: Hier können diese die Ausstellung der Unbedenklichkeitsbescheinigung im Abonnement beantragen. Dann kommt die Bescheinigung alle drei Monate automatisch ins Haus. Ein solches Angebot bietet auch die Bau-Berufsgenossenschaft.
Die Ausstellung der Unbedenklichkeitsbescheinigung setzt voraus, dass die Beiträge in den letzten Monaten pünktlich und in voller Höhe gezahlt wurden. Eine Bestätigung über die Richtigkeit der nachgewiesenen Beiträge ist das aber nicht. Diese Feststellung ist der Betriebsprüfung der Rentenversicherung vorbehalten.
Sonderregelung zum Werkstudentenprivileg endet
Während der Corona-Pandemie haben viele Hochschulen ihre Semesterferien ausgeweitet und zu großen Teilen auf Präsenzvorlesungen verzichtet. Das nahm der GKV-Spitzenverband zum Anlass, Sonderregelungen für die Zeit der pandemiebedingten Einschränkungen beim Werkstudentenprivileg zuzulassen.
So wurde die Versicherungsfreiheit bei Studenten-Beschäftigungen in den Semesterferien – unabhängig von der wöchentlichen Stundenzahl – auch dann bestätigt, wenn diese von der Hochschule über den eigentlichen Zeitraum hinaus erweitert bzw. verlängert wurden.
Wurde der Lehrbetrieb ohne Präsenzveranstaltungen durchgeführt, konnte das Werkstudentenprivileg auch dann beibehalten werden, wenn die Beschäftigung an mehr als 20 Wochenstunden ausgeübt wurde. Als Begründung wurde angegeben, dass Onlinevorlesungen grundsätzlich zeitlich flexibler besucht werden konnten.
Allerdings wurde die Anwendung des Werkstudentenprivilegs auch mit den Sonderregelungen auf maximal 26 Wochen im Jahr begrenzt.
Vor dem Hintergrund der Wiederaufnahme der Präsenzveranstaltungen an den Hochschulen zum Sommersemester 2022 hat der GKV-Spitzenverband darauf hingewiesen (Rundschreiben 2022/199), dass damit zur Anwendung der 20-Stunden-Grenze zurückgekehrt wird. Ein Überschreiten der Grenze ist – wie vor der Pandemie – nur noch möglich, wenn die Arbeiten in den Nachtstunden, am Wochenende oder in den Semesterferien geleistet werden.
Hinweis: In der Rentenversicherung gilt das Werkstudentenprivileg nicht!
Rentenerhöhung zum 01.07.2022 beschlossen
Nach der Nullrunde im letzten Jahr (im Westen) bzw. einer minimalen Erhöhung im Osten sollen die Renten zum 01.07.2022 dieses Jahres um einen ganz beachtlichen Prozentsatz steigen. Im Westen steigen die Renten um 5,35 Prozent, im Osten um satte 6,12 Prozent. Der Unterschied hängt mit der geplanten Angleichung der Rechtskreise bis 2025 zusammen.
Allerdings hat die Erhöhung für viele Rentner einen Pferdefuß: Durch die Erhöhung überschreiten sie ab Juli den steuerlichen Freibetrag und müssen dann Einkommenssteuer auf die Rente zahlen. Dadurch wird ein Teil der Erhöhung gleich wieder kassiert. Arbeitgeber, die Rentner beschäftigen, sollten ihnen einen entsprechenden Hinweis geben, damit nicht später ein böses Erwachen kommt.
Übrigens: Der Rentensteigerungssatz wird zugleich für die Dynamisierung anderer Entgeltersatzleistungen wie beispielsweise das Krankengeld verwendet.
Jürgen Heidenreich