Betriebliches Eingliederungsmanagement : Niederlage im Kündigungsschutzprozess wegen „Datenschutz“?
Erhebt ein krankheitsbedingt gekündigter Mitarbeiter Kündigungsschutzklage, rückt das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) in den Fokus der Aufmerksamkeit. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg gab einer Kündigungsschutzklage u. a. wegen unzureichender Beachtung datenschutzrechtlicher Vorschriften statt (Urteil vom 28.07.2021, Az. 4 Sa 68/20).
Ein Weckruf, den eigenen BEM-Ablauf auf Datenschutz-Compliance zu prüfen. Der Weckruf erfolgt vor dem Hintergrund, dass ein Arbeitgeber die Datenschutz-Compliance seines BEM-Prozesses und jeder einzelnen BEM – Maßnahme jederzeit nachweisen können muss.
Zu den „neuralgischen“ Punkten, die eine Prüfung erfordern, zählen insbesondere:
- Wer hat Zugriff auf die im BEM offenbarten Gesundheitsdaten?
- Erfüllt die Einwilligung zur Datenverarbeitung im BEM die datenschutzrechtlichen Anforderungen?
- Wird der Mitarbeiter über die geplante Datenverarbeitung vollständig und korrekt informiert?
Zugriffe auf BEM-Akten: Der Vorgesetzte ist raus

Ein BEM hat die Aufgabe, dass Arbeitgeber und Mitarbeiter gemeinsam ergebnisoffen nach Maßnahmen suchen, um die Fehlzeiten des Mitarbeiters zu reduzieren (§ 167 Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) IX). Da es sich um einen ergebnisoffenen Suchprozess handelt, hat der Gesetzgeber den Ablauf des BEM nicht im Detail geregelt. Aus dem Fehlen einer expliziten gesetzlichen Regelung darf nicht geschlossen werden, dass der Arbeitgeber freie Hand hat. Insbesondere – und vorrangig – setzt die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) der Gestaltungsfreiheit Grenzen.
Im Rahmen eines BEM offenbart der Mitarbeiter regelmäßig Krankheitsdiagnosen oder auch seine persönliche oder familiäre Situation – Informationen, die ein Arbeitgeber „normalerweise“ nicht erfragen oder verarbeiten dürfte. Um sicherzustellen, dass die offenbarten Informationen ausschließlich zur Durchführung des BEM verwendet werden, muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass keine Personen außerhalb des BEM-Teams auf diese Daten zugreifen können (Art. 5 Abs.1 lit. f) i. V. m. 25 Abs. 2 DS-GVO).
Es bietet sich an, die Daten und Unterlagen aus dem BEM in einer eigenen Akte zu verwalten, die getrennt von der Personalakte geführt wird. Papierakten sind so zu verschließen, dass ausschließlich das BEM-Team die Schlüssel hat. Elektronische Akten sind zu verschlüsseln, dass ausschließlich das BEM-Team diese entschlüsseln kann. Auch Administratoren dürfen keinen Zugriff haben (LOHN+GEHALT 5/2019, S. 80 ff.). Weiterhin muss sichergestellt werden, dass Protokollentwürfe und andere Unterlagen, die das BEM-Team erstellt, nicht außerhalb der BEM-Akte bspw. in persönlichen Laufwerken oder Teamlaufwerken gespeichert werden. Die Nutzung von E-Mail ist zu verbieten, sofern nicht eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung verwendet wird, die ausschließlich von Mitgliedern des BEM-Teams aufgehoben werden kann.

Organisatorisch sind die Mitglieder des BEM-Teams zur Verschwiegenheit auch gegenüber dem Arbeitgeber zu verpflichten.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat in dem eingangs erwähnten Urteil ausgeführt, dass Vorgesetzte und eine „Standortleitung“, die nicht dem BEM-Team angehören, keinen Zugriff erhalten dürfen. Das Gericht wies zu Recht darauf hin, dass diese Beschränkung nicht durch eine Einwilligung aufgehoben werden kann. Selbst wenn die Einwilligung Vorgesetzte oder andere Vertreter des Arbeitgebers als Empfangsberechtigte nennen würde, muss die Weitergabe zusätzlich für die Zwecke des BEM erforderlich sein.
Eine solche Erforderlichkeit ist regelmäßig nicht gegeben, da Vorgesetzte nur die Maßnahmen kennen müssen, aber nicht deren Begründung oder Herleitung. Die Erforderlichkeit muss objektiv gegeben sein, d. h. ohne die Weitergabe ist der Zweck des BEM gefährdet. Die Argumente zweckmäßig oder kostengünstig reichen nicht aus.
Es kann erforderlich sein, dass weitere Personen außerhalb des BEM-Teams Daten aus der BEM-Akte erhalten sollen. Eine solche Datenübermittlung muss für die Durchführung des BEM erforderlich sein und bedarf zusätzlich einer vorherigen Einwilligung des Mitarbeiters in die Weitergabe.
Einwilligung: „Schreiben nach Zahlen“
Im Rahmen eines BEM werden regelmäßig zwei Arten von personenbezogenen Daten eines Mitarbeiters verarbeitet. Die „sowieso“ für die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlichen Daten wie z. B. Name, private und dienstliche Kontaktdaten, Position, Tätigkeiten, Qualifikation und Fehlzeiten bilden das Fundament. Ohne diese Angaben ließe sich der Mitarbeiter weder einladen noch ansprechen. Da die Durchführung eines BEM als Teil des Beschäftigungsverhältnisses betrachtet werden kann, bedarf es keiner Einwilligung zur Verwendung dieser Daten.
Alle Daten, die normalerweise durch einen Arbeitgeber nicht verarbeitet werden dürfen, dürfen nur dann erfragt oder verwendet werden, wenn der Mitarbeiter vorher in die entsprechende Verarbeitung eingewilligt hat. Eine solche Einwilligung stellt folglich die Arbeitsgrundlage für das BEM-Team dar. Das Datenschutzrecht legt die Ausgestaltung der Einwilligung fest.
In der Einwilligung zu nennen sind insbesondere:
- die Identität des für die Verarbeitung Verantwortlichen,
- der Zweck oder die Zwecke,
- die von der Verarbeitung betroffenen Datenarten,
- alle Empfänger und
- das Bestehen des Widerrufsrechts.
In Konzernstrukturen oder bei der Einbeziehung von externen Fallmanagern kommt der Identität des Verantwortlichen besondere Bedeutung zu. Zu nennen sind die Unternehmen und Organisationen, bei denen die Mitglieder des BEM-Teams angestellt sind. Die Mitglieder des BEM-Teams sind grundsätzlich ebenfalls mit Namen zu nennen, da die Einwilligung an diese Personen gebunden wird und die Verarbeitung ausschließlich den genannten Personen erlaubt wird.
Die Zwecke ergeben sich aus der Zielsetzung des BEM. Sie sind jedoch explizit aufzuführen, um die Wirksamkeit der Einwilligung nicht in Frage zu stellen. Es ist zu beachten, dass Daten grundsätzlich nur für die Zwecke verwendet, werden dürfen, für die sie erhoben worden sind. Wird die Einwilligung für den Zweck „Durchführung eines BEM“ erteilt, so dürfen die Daten nicht für eine Kündigung verwendet werden. Deshalb empfiehlt es sich, genau zu überlegen, für welche Zwecke die Daten genutzt werden könnten. Ob ein Mitarbeiter in den Zweck „krankheitsbedingte Kündigung“ einwilligt, ist eine andere Frage.
Zu nennen sind die – wie oben ausgeführt – „zusätzlichen“ Datenarten. Stehen diese noch nicht fest, bietet sich an, die Einwilligung erst dann einzuholen, wenn die benötigten Daten absehbar sind. Pauschale Begriffe wie z. B. „erforderliche Daten“ sind regelmäßig unzulässig und führen zur Unwirksamkeit der Einwilligung.
Bei den Empfängern sind alle Personen, Unternehmen und Organisationen zu nennen, denen die „zusätzlichen“ Daten offengelegt oder übermittelt werden könnten.
Zusammen mit der Einwilligung ist die Datenschutzinformation gemäß Art. 13 und 14 DS-GVO dem Mitarbeiter auszuhändigen, in der die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen des BEM beschrieben wird. Eine Einwilligung ohne diese zusätzliche Information betrachten Aufsichtsbehörden und Gerichte grundsätzlich als unwirksam.
Es kann im Verlauf eines BEM sinnvoll werden, externe Stellen oder Personen wie Ärzte oder Ämter einzubeziehen. Für eine solche Datenweitergabe bedarf es der Einwilligung des Mitarbeiters. Es bietet sich an, eine solche Einwilligung getrennt von der oben besprochenen Einwilligung für das BEM-Team zu erstellen und einzuholen.
Das Landesarbeitsgericht wies in dem eingangs erwähnten Urteils zu Recht auf die Problematik „Freiwilligkeit“ hin. Einwilligungen müssen freiwillig erteilbar oder nicht erteilbar sein. Zweifel an der Freiwilligkeit wecken Zweifel an der Wirksamkeit. Das Vorliegen der Freiwilligkeit muss der Arbeitgeber nachweisen können. Freiwilligkeit bedeutet bspw., dass bei Nichterteilung dem Mitarbeiter keine Nachteile entstehen dürfen, außer dass das BEM vielleicht nicht so effektiv durchgeführt werden kann wie mit der Erteilung der Einwilligung. Umgekehrt darf die Zustimmung nicht „belohnt“ werden. Um den Nachweis der Freiwilligkeit einfacher führen zu können, bietet es sich an, entsprechende Erklärungen in die Einwilligung aufzunehmen.
Die Einwilligung ist im Regelfall schriftlich oder elektronisch zu erteilen. Der Arbeitgeber muss die korrekte Erteilung der Einwilligung jederzeit nachweisen können.
Einwilligungen können jederzeit mit Wirkung für die Zukunft ohne Angabe von Gründen widerrufen werden. Nach dem Widerruf dürfen die entsprechenden Daten nicht mehr verwendet werden. Die Datenspeicherung stellt eine Form der Datenverarbeitung dar. Ob die betroffenen Daten sofort gelöscht werden müssen, ist datenschutzrechtlich im Einzelfall zu prüfen.
Datenschutzinformation: Zu kurz ist schnell falsch
§ 267 Abs. 2 SGB IX erinnert daran, dass eine Datenschutzinformation dem Mitarbeiter vorzulegen ist. Auch wenn dort nur gefordert wird, auf „Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen“, so gelten zusätzlich die weitreichenderen Anforderungen von Art. 13 und 14 DS-GVO. Um die Wirksamkeit der Einwilligung nicht zu gefährden, sollte diese Datenschutzinformation zusammen mit der Einwilligung dem Mitarbeiter ausgehändigt werden.
Die Inhalte einer Datenschutzinformation sind gesetzlich festgelegt. Ein Arbeitgeber hat alle Anforderungen umzusetzen, d. h. ein Streichen oder Weglassen ist unzulässig und gefährdet die Rechtmäßigkeit des BEM. Der Arbeitgeber darf lediglich die Formulierung selbst wählen. Insbesondere Art. 13 und 14 DS-GVO listen die inhaltlichen Anforderungen auf (ausführlicher in LOHN+GEHALT 2/2018, S. 36 ff.).
In der Praxis zeigt sich, dass Unternehmen ein BEM unterschiedlich durchführen. Deshalb ist bei der Verwendung von Mustern Vorsicht geboten. Muster bedürfen grundsätzlich der Anpassung an den gelebten Prozess.
Sobald externe Fallmanager mitwirken, muss nicht nur die Einwilligung auch für die externen Fallmanager gelten. Zusätzlich müssen die externen Fallmanager ihre eigene Datenschutzinformation bei Erteilung der Einwilligung dem Mitarbeiter aushändigen oder durch den Arbeitgeber aushändigen lassen. Weil Fallmanager eigenständig entscheiden sollen und dürfen, liegt hier grundsätzlich keine Auftragsverarbeitung vor, d. h. das Unternehmen, bei dem die Fallmanager angestellt sind, agiert wie auch der Arbeitgeber als Verantwortlicher.
Es ist selbstständig für die nachweisbare Einhaltung aller datenschutzrechtlichen Vorschriften verantwortlich. Es sollten zwischen dem externen Fallmanager und dem Arbeitgeber (vertraglich) verschiedene Punkte vereinbart werden, etwa, wie die BEM-Akten zu führen sind, die Verschwiegenheit sowie der Umgang mit widerrufenen Einwilligungen. Ob eine gemeinsame Verantwortung i. S. d. Art. 26 DS-GVO vorliegt, die weiteren Regelungsbedarf und Informationspflichten gegenüber dem Mitarbeiter sowie eine gesamtschuldnerische Haftung bei Schäden nach sich zieht, ist im Einzelfall zu prüfen.
Fazit
Die Gestaltung des BEM-Ablaufs sowie die konkrete Durchführung im Einzelfall bemessen sich auch nach datenschutzrechtlichen Maßstäben. Um ein Scheitern von krankheitsbedingten Kündigungen sowie Bußgelder oder Schadensersatzansprüche zu vermeiden, empfiehlt sich eine Prüfung der Datenschutz-Compliance.
Zu den Prüffeldern zählen bspw.:
- Hat ausschließlich das BEM-Team Zugriff auf BEM-Akten und BEM-Daten?
- Ist ausgeschlossen, dass Personen wie IT-Administratoren und Vorgesetzte Zugriff erlangen können?
- Ist die Nutzung von E-Mail ohne Ende-zu-Ende-Verschlüsselung verboten und unterbleibt sie nachweislich?
- Sind die Mitglieder des BEM-Teams zur Vertraulichkeit auch gegenüber dem Arbeitgeber verpflichtet?
- Erfüllen die eingeholten Einwilligungen die datenschutzrechtlichen Anforderungen?
- Ist die Datenschutzinformation korrekt und vollständig?
- Wird die Datenschutzinformation zusammen mit der Einwilligung ausgehändigt?
- Kann die Freiwilligkeit der Einwilligung nachgewiesen werden?
- Ist sichergestellt, dass bei Widerruf der Einwilligung eine weitere Verarbeitung der Daten unterbleibt?
- Werden BEM-Akte und BEM-Daten fristgerecht gelöscht und vernichtet? Erfolgt die Vernichtung von Papierunterlagen mit der Sicherheitsstufe 4 gemäß DIN 66399?
- Bei der Hinzuziehung externer Fallmanager ergibt sich weiterer Prüfbedarf:
- Erstreckt sich die Einwilligung für das BEM-Team auch auf die externen Fallmanager?
- Ist sichergestellt, dass dem Mitarbeiter zusammen mit der Einwilligung auch die Datenschutzinformation des externen Fallmanagers ausgehändigt wird?
- Ist mit dem Fallmanager (vertraglich) vereinbart, wie die BEM-Akte geführt wird, wer wie und wann die BEM-Daten löscht und wie mit widerrufenen Einwilligungen umzugehen ist?
- Wurde das Vorliegen einer gemeinsamen Verantwortung i. S. d. Art. 26 DS-GVO geprüft?
- Sofern eine gemeinsame Verantwortung i. S. d. Art. 26 DS-GVO vorliegt, sind die dort genannten Anforderungen umgesetzt?
Dr. Niels Lepperhoff, Xamit Bewertungsgesellschaft mbH
