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Entsendungen : Das A1-Verfahren im Überblick

Die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Arbeitnehmern bei Entsendung in das Ausland (Ausstrahlung) und aus dem Ausland nach Deutschland (Einstrahlung) ist in der Praxis oft mit Schwierigkeiten und großem Aufwand verbunden. Welches Sozialversicherungsrecht (SV-Recht) anzuwenden ist, ist immer dann einfach, wenn ein Mitarbeiter in Deutschland lebt und arbeitet. Dann kommt natürlich das deutsche SV-Recht zur Anwendung. Was allerdings ist zu beachten, wenn ein solcher Mitarbeiter für seinen Arbeitgeber auch (mal) im Ausland betriebsbedingt tätig werden muss? Bleibt es dann beim deutschen SV-Recht oder muss der Mitarbeiter in Deutschland bei der Sozialversicherung ab- und bei der Sozialversicherung im Ausland angemeldet werden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der folgende Beitrag und gibt dabei einen Kurzüberblick.

Lesezeit 6 Min.

Beschäftigung in Deutschland = deutsches SV-Recht

Nach § 3 Sozialgesetzbuch (SGB) IV muss ein Mitarbeiter, der in Deutsch­land beschäftigt wird, zum deutschen Sozialversicherungssystem (SV-Sys­tem) angemeldet werden. Solange – wie in den meisten Fällen – also Mitarbeiter in Deutschland leben und arbeiten, sind das sogenannte Beschäf­tigungsstaats- und das Territoriali­tätsprinzip (auch Wohnstaatsprinzip) deckungsgleich. Besonderheiten sind dabei nicht zu beachten. Solche Mitar­beiter werden grundsätzlich bei einer der derzeit 103 Krankenkassen an­gemeldet und nach deutschem Recht sozialversichert.

Beschäftigung im Ausland

Was ist jedoch zu beachten, wenn das Beschäftigungsstaats- und das Ter­ritorialitätsprinzip auseinanderfal­len? Das wird immer dann geschehen, wenn ein Mitarbeiter, der grundsätz­lich in Deutschland lebt und arbeitet, betriebsbedingt vom Arbeitgeber zeit­weise oder auf Dauer ins Ausland ge­schickt wird. Gründe dafür werden in der Praxis zum Beispiel Dienstreisen zu Besprechungen bei ausländischen Kunden oder auch Montagetätigkeiten bei ausländischen Auftraggebern sein.

Hierzu regelt § 4 SGB IV Folgendes: „Soweit die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versi­cherungsberechtigung eine Beschäf­tigung voraussetzen, gelten sie auch für Personen, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs be­stehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Gel­tungsbereichs entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist.“

Unbefristete Auslandseinsätze

Das bedeutet, dass nur bei zeitlich be­grenzten Auslandseinsätzen auch das deutsche SV-Recht (und damit der deutsche Sozialversicherungsschutz) ins Ausland „mitgenommen“ wer­den kann. Für auf unbestimmte Dauer angelegte Auslandseinsätze kann ein Schutz in der deutschen Sozialversi­cherung nicht bestehen bleiben.

Befristete Auslandseinsätze

Ab jetzt wird es tatsächlich kompli­ziert. Bei der Frage nach dem rich­tigen SV-Recht, wenn es um zeitlich befristete Auslandseinsätze geht, sind zumindest zwei wichtige Punkte zu differenzieren. Geht es um einen Aus­landseinsatz in der EU oder in einem Land, mit dem Deutschland ein bilate­rales Sozialversicherungsabkommen (SV-Abkommen) hat, oder um einen abkommensfreien Staat? Wie lange dauert der Auslandseinsatz? Besonder­heiten gibt es nur bei zeitlich befriste­ten Auslandseinsätzen.

Beispiel 1

Frau A arbeitet für ein Unternehmen aus Bremen und ist damit derzeit im deutschen SV-System gemeldet. Zum 01.01.2023 soll Frau A jedoch die Zweigniederlassung in Belgien übernehmen und dazu dauerhaft nach Belgien gehen.

Lösung

Damit muss der Arbeitgeber Frau A zum 31.12.2022 im deutschen SV-Sys­tem abmelden und zum 01.01.2023 im belgischen SV-System anmelden. Ausnahmen gibt es nicht.

Das A1-Verfahren im Überblick-min
Das A1-Verfahren im Überblick-min

Zeitlich befristete Auslands­entsendung in die EU/EWG

§6 SGB IV stellt klar, dass abweichende Regelungen des über- und zwischen­staatlichen Rechts vorrangig zu beach­ten sind. Unter überstaatlichem Recht sind in erster Linie die Regelungen des europäischen Gemeinschaftsrechts für den Bereich der sozialen Sicherheit und unter zwischenstaatlichem Recht in erster Linie die von der Bundesre­publik Deutschland mit anderen Staa­ten geschlossenen SV-Abkommen zu verstehen.

Beispiel 2 Das A1-Verfahren im Überblick-min
Beispiel 2 Das A1-Verfahren im Überblick-min

Bei Entsendungen in oder aus einem anderen Mitgliedstaat der Euro­päischen Union (EU), des Europäi­schen Wirtschaftsraums (EWR) oder der Schweiz sind insbesondere zu beachten:

  1. Artikel 12 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit,
  2. Artikel 14 und 15 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Fest­legung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vom 16.09.2009,
  3. der Beschluss Nr. A2 der Verwal­tungskommission für die Ko­ordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zur Auslegung des Artikels 12 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 12.06.2009 und
  4. der von der Europäischen Kommis­sion herausgegebene „Praktische Leitfaden zum anwendbaren Recht in der Europäischen Union, im Eu­ropäischen Wirtschaftsraum und in der Schweiz“.

Solange es um eine auf maximal 24 Monate befristete Auslands­entsendung in den EWG-Raum geht, ist es einfach. Der Mitarbei­ter behält für diesen Zeitraum sein Wohnstaats-SV-Recht.

Zeitlich befristete Auslands­entsendung in Abkommens­staaten

Bei Entsendungen in oder aus einem Staat, mit dem Deutschland ein SV-Abkommen geschlossen hat, sind die Regelungen des jeweiligen Abkom­mens vorrangig zu beachten.

Beispiel 3 Das A1-Verfahren im Überblick
Beispiel 3 Das A1-Verfahren im Überblick

Mit folgenden Staaten hat Deutschland derzeit bilaterale SV-Abkommen:

• Albanien                             • Kosovo
• Australien                           • Marokko
• Bosnien u. Herzegowina   • Moldau
• Brasilien                             • Montenegro
• Chile                                   • Nordmazedonien
• China                                 • Philippinen
• Indien                                 • Serbien
• Israel                                  • Türkei
• Japan                                • Tunesien
• Kanada                              • Uruguay
• Korea                                 • USA

 

Die einzelnen SV-Abkommen re­geln jedoch unterschiedliche An­wendungsbereiche. Es ist von Staat zu Staat verschieden, ob das Abkom­men zum Beispiel nur die Kranken- und Rentenversicherung betrifft oder aber auch die Unfall-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung.

Das muss individuell aus dem Abkom­men entnommen werden. Hilfe finden Sie dazu unter: www.dvka.de.

Zeitlich befristete Auslandsentsendung in Nicht-Abkommensstaaten

Die meisten Staaten auf der Erde ge­hören nicht zum EWG-Raum und haben auch kein SV-Abkommen mit Deutschland.

Beispiel 4 Das A1-Verfahren im Überblick-min
Beispiel 4 Das A1-Verfahren im Überblick-min

Hier kommt es bei einem Auslandseinsatz allein auf die Befris­tungen an. Für einen Arbeitnehmer gelten dann während einer vorü­bergehenden Beschäftigung im Aus­land die deutschen Vorschriften über die Sozialversicherung nach § 4 Abs. 1 SGB IV weiter, wenn es sich um eine Entsendung im Rahmen eines in Deutschland bestehenden Beschäfti­gungsverhältnisses handelt und die Dauer der Beschäftigung im Ausland vertraglich oder durch ihre Eigenart im Voraus zeitlich begrenzt ist.

§4 Abs. 1 SGB IV kennt als Grundvor­schrift keine starre Zeitgrenze, anders als die EG-Verordnungen, die innereu­ropäische Entsendungen für den EWG-Raum auf eine maximale Dauer von 24 Monaten beschränken.

Eine zeitliche Begrenzung der Entsen­dung im Sinne der Ausstrahlung liegt nur vor, wenn bei vorausschauender Betrachtungsweise ein zeitliches Ende absehbar ist. Die Begrenzung im Vor­aus kann sich aus der Eigenart der Be­schäftigung oder aus einem Vertrag ergeben.

Mitarbeiter aus dem Ausland werden in Deutschland beschäftigt

Wenn Mitarbeiter, die im Ausland leben und arbeiten, nach Deutschland kommen, gilt umgekehrt das Gleiche bereits beschreiben unter „Beschäfti­gung im Ausland“.

Welche Verfahrensdokumen­tationen sind erforderlich?

Ob die Voraussetzungen einer Ent­sendung vorliegen, hat der Arbeitge­ber vor Aufnahme der Beschäftigung im Ausland zu prüfen. Er kann, ins­besondere in Zweifelsfällen, von der zuständigen Einzugsstelle verlan­gen, dass diese eine Feststellung da­rüber trifft, ob im Einzelfall eine Sozialversicherungspflicht (SV-Pflicht) im Rahmen einer Entsendung im Sinne der Ausstrahlung vorliegt oder nicht (§ 28h Absatz 2 SGB IV).

Damit rechtlich sicher bei den Aus­landseinsätzen auch wirklich wei­ter das deutsche SV-Recht gilt und das jeweils vor Ort gültige ausländische Recht nicht, muss für die betreffenden Mitarbeiter eine A1-Bescheinigung be­antragt werden.

Diese A1-Bescheinigungen können Ar­beitgeber mittlerweile über das Lohn­programm – im Regelfall – bei der Krankenkasse des betreffenden Mitar­beiters beantragen. Die Krankenkassen sind dann verpflichtet, diese A1-Be­scheinigungen – die auch im Ausland bei den Prüfbehörden anerkannt wer­den – innerhalb von drei Werktagen ab Beantragung dem Arbeitgeber aus­zustellen. Die A1-Bescheinigung wird dann in das Lohnprogramm einge­spielt. Der Arbeitgeber muss diese Be­scheinigung seinem Arbeitnehmer aushändigen und die Arbeitnehmer müssen diese während des Ausland­seinsatzes mit sich führen und auf Verlangen der ausländischen Prüfbe­hörden vorzeigen können.

Diese A1-Bescheinigungen sind für jeden (!) befristeten dienstlich veran­lassten Auslandseinsatz erforderlich – ab der ersten Minute; es gibt keine Bagatellregelung für Kurzeinsätze.

Insbesondere die österreichischen Prüfbehörden sind diesbezüglich sehr streng. Nach dem österreichi­schen Lohn- und Sozialdumping-Be­kämpfungsgesetz (LSD-BG) muss jede Entsendung oder Überlassung bei den Behörden gemeldet werden (§ 19 LSD-BG). Zusätzlich ist die A1-Beschei­nigung bereitzuhalten. Bei Verstößen drohen Strafen, die sich auf 500 bis 5.000 Euro pro Arbeitnehmer belaufen können.

Fazit:

Arbeitgeber sollten das Thema Entsendung und insbesondere auch die A1-Bescheinigung wirklich ernst nehmen.

Jörg Romanowski, Diplom-Verwaltungs­wirt (FH), Rentenberater

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