Wiedereingliederung : Der Krankheit zum Trotz!? Wie gelingt eine gesunde und glückliche Rückkehr?
Die medizinische, berufliche und soziale Rehabilitation stellt in Deutschland einen erheblichen Bestandteil des Sozialversicherungssystems und der Gesundheitsversorgung dar. Von allergrößter Bedeutung für das Gelingen sind dabei die Wahl des „Rehabilitationssettings“ und die Inanspruchnahme von möglichen Hilfen.
Für welches Modell man sich entscheidet, ist sowohl von der Art der Erkrankung wie auch vom Berufsbild (und dessen Belastbarkeitsmerkmalen) abhängig. Genauso wichtig sind aber die Gegebenheiten vor Ort und die personelle Struktur, in die der betroffene Mitarbeiter mit den passenden Reha-Maßnahmen (re-)integriert werden muss. Am Anfang steht die alles entscheidende Frage, ob sich die Beteiligten auf ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) oder die Wiedereingliederung in Form eines Stufenplans einigen.
Voraussetzungen für das BEM
Die Pflicht, einem arbeitsunfähigen Arbeitnehmer BEM – Maßnahmen anzubieten, ist durch § 84 Abs. 1 und 2 im Sozialgesetzbuch (SGB) IX geregelt. Ist ein Mitarbeiter in einem Zeitraum von 12 Monaten länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt über mehrere Fehlzeiten verteilt arbeitsunfähig bzw. krankgeschrieben, ist der Arbeitgeber verpflichtet, ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen.
Was die Sache nicht ganz einfach macht: Das Gesetz beinhaltet keine konkrete Vorschrift, wie das BEM durchzuführen ist. § 84 Abs. 2 SGB IX umschreibt die Rahmenbedingungen für das BEM-Gespräch als verlaufs-und ergebnisoffenen Klärungsprozess zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber(-vertretern). In diesem Rahmen müssen die Ziele des BEM dem Betroffenen ganz klar kommuniziert werden.
Mögliche Hürden
Der betroffene Mitarbeiter sollte unmissverständlich ins Bild gesetzt werden, dass es hierbei um seine Weiterbeschäftigung geht. Dabei sollten gemeinsam mit dem Betriebsarzt – sofern vorhanden – und allen Integrationsstellen Lösungen gefunden werden, um künftige Fehlzeiten zu reduzieren und eine regelmäßige Arbeit zu ermöglichen.
Ganz wichtig: Es müssen hinreichende Hinweise auf die Datenerhebung und -verwendung im Rahmen des BEM-Prozesses erfolgen. Es muss dabei deutlich gemacht werden, dass ausschließlich solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um die Genesung zu fördern. Dabei sollte den Mitarbeitern klar sein, dass Betriebsärzte genauso der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen wie alle anderen Ärzte auch. Folgt man nämlich Ratschlägen aus dem Netz, so wird dort empfohlen, „bloß nicht alles zu erzählen“, um seine Anstellung nicht zu gefährden. Dabei ist die Vertrauensgrundlage ein wesentlicher Baustein zum Genesungserfolg.
Wiedereingliederung als Alternative
Die Wiedereingliederung ist eine freiwillige Maßnahme und kann eine Alternative zum BEM darstellen, zu welcher der Arbeitgeber allerdings nicht gesetzlich verpflichtet ist. Aus medizinischer Sicht müssen eine ausreichende Belastbarkeit des Patienten sowie eine positive Perspektive für die berufliche Wiedereingliederung bestehen. Sie kommt deshalb für Arbeitnehmer infrage, die ihre bisherige Arbeit zumindest zeitweise wieder ausüben können, und verläuft nach einem ärztlich betreuten Stufenplan.
Dabei kann die Arbeitszeit langsam im Wochen- oder Zweiwochentakt gesteigert werden. Betroffenen sollte empfohlen werden, sich am besten vorzeitig an ihre Krankenkasse zu wenden, damit diese eingehend informieren kann, welche weiteren Schritte veranlasst werden sollten, und damit sie gegebenenfalls die Koordination der Leistung übernehmen kann.
Eines der größten Probleme sind Sorgen, Ängste und ernstzunehmende Nöte, dass bei weiterhin verminderten Lohnleistungen eine ausreichende Existenzsicherung nicht mehr gegeben ist. Das Gefühl einer ungewissen Dauer bis zur Beendigung dieser Situation kann dabei eine erhebliche Zusatzbelastung darstellen, die der Gesundung vielleicht sogar im Weg steht.
Natürlich ist ein Vorteil der stufenweisen Wiedereingliederung nach dem sogenannten Hamburger Modell, dass die Intervalle flexibel gestaltet werden können. Oft wird aber vergessen, bestimmte betriebliche Rahmenbedingungen und Anfahrtswege zu berücksichtigen. Wichtig sind auch hier folgende Punkte, die genau festgelegt werden müssen:
- der Start und der Abschlusszeitpunkt der stufenweisen Wiedereingliederung,
- die Details zu den einzelnen Stufen (Anzahl der Tagesarbeitsstunden/ Steigerung),
- Hinweis auf das Recht, die Maßnahme bei Bedarf vorzeitig abbrechen zu können,
- genaue Angaben zu bestimmten Tätigkeiten – auch zu denen, die vorerst nicht ausgeübt werden dürfen,
- Benennung der möglichen Gründe, derentwegen die Maßnahme vorzeitig abgebrochen werden kann,
- eine Bestätigung, dass die Bestimmungen des Arbeitsvertrags ruhen bis zum Abschluss der Maßnahme,
- sonstige Bestimmungen, die zu treffen sind, um einen Erfolg zu ermöglichen (Arbeitsplatzanpassungen etc.).
Das Krankheitsbild entscheidet (mit)
Die gesundheitliche Arbeitseinschränkung hat viele Gesichter: Krebs, ein Unfall oder die Psyche, um hier mal ein paar markante und verschiedene Erscheinungsmerkmale zu nennen. Entsprechend unterschiedlich sind jeweils die Vorgehensweisen und Voraussetzungen.
Jede Erkrankung stellt dadurch bei der Wiedereingliederung ihre ganz eigene Herausforderung dar – gleichzeitig gibt es aber auch verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen. Entsprechend unterschiedlich gestaltet sich die Bezahlung bei Arbeitsunfähigkeit in Form von Krankengeld, Übergangsgeld oder Verletztengeld über den Reha-Träger.
Was es grundsätzlich zu überprüfen gilt:
- Liegen Funktionseinschränkungen vor?
- Besteht ein Zusammenhang zwischen der Erkrankung und dem Arbeitsplatz?
- Wie und wo sind die Ziele und Vorstellungen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Einklang zu bringen?
- Muss oder kann der Arbeitsplatz zusätzlich ausgestattet oder umgestaltet werden?
- Sind Angebote im betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz vorhanden, die bereits in Anspruch genommen werden können?
- Wo liegen Stärken und Qualifikationen des Arbeitnehmers und ist ein Arbeitsplatzwechsel eine künftige Option?
- Wie sieht die Belastungssituation am Arbeitsplatz konkret aus und was muss geändert werden?
Krebsbetroffene, die ihre wöchentliche Arbeitszeit reduzieren möchten, haben einen Anspruch auf einen Teilzeitarbeitsplatz, wenn sie schwerbehindert oder Schwerbehinderten gleichgestellt sind. Tarifverträge und das Teilzeit- und Befristungsgesetz bieten dabei gute Möglichkeiten, die Arbeitszeit zu verkürzen. Die dadurch entstehenden finanziellen Einbußen können durch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufgefangen werden. Voraussetzung hierfür ist, dass die Patienten mindestens drei, aber (noch) nicht mehr sechs Stunden täglich arbeiten.
Die gute Nachricht: Etwa zwei Drittel aller Berufstätigen, die an Krebs erkrankt sind, schaffen es, zurückzukehren in das Arbeitsleben. Die Motivation ist für die meisten hoch – wer wieder arbeitet, erobert sich ein Stück Normalität zurück.
Der Stufenplan empfiehlt sich auch bei von Depressionen Betroffenen. Stellt der behandelnde Arzt oder Psychotherapeut fest, dass der Patient wieder arbeitsfähig ist, kann er ihm die stufenweise Wiedereingliederung vorschlagen. Entscheidet sich der Patient dafür, spricht er mit seinem Arzt und anschließend mit seinem Arbeitgeber einen Plan ab, um Schritt für Schritt wieder in den Beruf zurückzukehren.
Damit sich der Betroffene allmählich wieder an die Arbeitsbelastung gewöhnt, kann sich dies über mehrere Monate hinziehen, maximal jedoch ein halbes Jahr. Auch für den Arbeitgeber stellen die Krankheitsbilder Depression und/oder Alkoholismus dar. Hier ist es oft sehr schwierig, eine offene und vertrauensvolle Gesprächsbasis zu erreichen.
Dabei ist Reden im Zusammenhang mit der tatsächlichen Arbeitsbelastung das A und O einer erfolgreichen Rehabilitation. Aber gerade die häufig damit einhergehende Kombination aus Angst, Scham und oft auch (Selbst-) Überforderung belastet nicht nur das Arbeitnehmer-/Arbeitgeberverhältnis, sondern hat auch Auswirkungen auf die direkte Arbeitsumgebung. Hier müssen klare Entscheidungs- und Kommunikationsstrukturen her, wenn es um die Arbeitsverteilung und die Art der Entlastung geht.
Welche (Aus-)Wege kann es geben, wenn „nichts mehr“ geht?
Natürlich gibt es sie, die Fälle, in denen es nicht mehr möglich ist, den bisherigen Beruf auszuüben. So kann eine Chemotherapie eine Polyneuropathie (Erkrankungen des peripheren Nervensystems) hervorrufen, die wiederum zu Gleichgewichtsstörungen führt. Damit können einige Tätigkeiten nicht mehr ausgeübt werden, ohne dass sie eine Gefahr für die Betroffenen oder Dritte darstellen – gerade im Handwerk.
Unter die sogenannten „Reha-Maßnahmen“ fallen deshalb auch Aus- und Weiterbildungen. Das kann die Teilnahme an kleineren Kursen umfassen oder eine vollständige Ausbildung bis hin zu einem Studium, sofern mit dem erfolgreichen Abschluss der dauerhafte Wiedereinstieg ins Berufsleben gelingt.
Was, wenn es am Ende (doch) die Kündigung wird?
Wie damit umgehen, wenn der weitere Einsatz ohne Gesundheitsgefährdung gar nicht so leicht möglich ist? In der Theorie heißt es immer so schön, dass dann Alternativen gefunden werden müssen. Solche Stellen muss es aber auch erst einmal geben und der Bedarf muss da sein. Und nicht unbedingt immer glücken die getroffenen Reha-Maßnahmen, so sehr es sich alle Beteiligten wünschen und daran mitwirken.
Ein Unternehmen ist zudem keinesfalls gezwungen, hohe Krankenstände und Dauerausfälle zu tolerieren, auch wenn sich das Gerücht hartnäckig hält, dass Kranken nicht gekündigt werden kann.
Der Arbeitgeber darf seinen Beschäftigten zwar wegen Krankheit kündigen, er ist aber verpflichtet, zuvor ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchführen. Dabei muss er dem Betroffenen vor allem klar mitteilen, welches die Ziele des BEM sind, und dies auch nachweisen können. Das ist neben der ordnungsgemäßen Durchführung eines BEM der Punkt, der die Gerichte mit am meisten beschäftigt. Außerdem müssen dabei die Rehabilitationsträger einbezogen werden. Das sind dann die Krankenkassen, die Rentenversicherung und in speziellen Fällen auch die Berufsgenossenschaft sowie die Agentur für Arbeit. Geschieht dies nicht, ist die BEM – Maßnahme fehlerhaft und die Kündigung unwirksam.
Wenn der Betroffene einem BEM zustimmt, müssen die Interessenvertretung (Betriebsrat oder Personalvertretung) sowie gegebenenfalls das Integrationsamt und die Schwerbehindertenvertretung mit einbezogen werden. Erfolgt nur eine Zustellung, aber keine Zustimmung des Arbeitnehmers, wird es ebenfalls schwierig.
Wie die Rechtsprechung zeigt, sichert aber auch ein durchgeführtes BEM die Kündigung nicht in jedem Fall ab. Der Arbeitgeber muss im Zweifel vor Gericht beweisen können, dass das BEM auch formell völlig ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Eine solche personenbedingte Kündigung wegen Krankheit kann durch vier besondere Gründen gerechtfertigt sein: wenn die Krankheits- und Fehltage lange andauern, sich häufen oder dauerhaft sind oder wenn krankheitsbedingte Leistungsmängel vorliegen.
Grundpfeiler des Gelingens
Was ist erforderlich, um den Betroffenen nicht nur die nötige Unterstützung bzw. Entlastung zu geben, sondern auch das entscheidende gute Gefühl zu vermitteln? Folgende Aspekte sind wichtig: Vertrauen, Optimismus, entsprechende Hilfsmittel und eine angepasste Arbeitsumgebung sowie Flexibilität für einen sanften Start und einen erfolgreichen Auf- und Ausbau der Arbeitstätigkeit. Eine Atmosphäre von Rückhalt ist umso wichtiger, da der Körper und/ oder die Psyche den Betroffenen bereits „im Stich gelassen haben“ oder schlichtweg das Pech in einer sehr harten Form zugeschlagen hat. Sensibilität erfordert auch die Art der Erkrankung, weswegen die Hilfe von „außen“ von großer Bedeutung ist.
In der Realität scheint es häufig so zu sein, dass Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Kollegen einfach versuchen, das Beste daraus zu machen. Die Ärzte und Krankenkassen scheinen dabei nicht immer in dem Maße involviert zu sein, es die Theorie von außen den Anschein erweckt.
In der Umsetzung bedeutet die Entlastung meist konkret: Die Arbeit wird von anderen (zusätzlich) mit übernommen und neu verteilt. Das führt – vor allem wenn es über längere Zeit geht – nicht selten zu Unzufriedenheit und auch dazu, dass andere Mitarbeiter durch die Zusatzdauerbelastung abspringen. Für die verantwortlichen Personaler stellt es eine nicht unerhebliche Verantwortung dar und benötigt viel Geschick, das Gefüge für alle angemessen neu auszurichten – ohne, dass sich der Betroffene (bereits) als überflüssig oder gar selbst noch als zusätzliche Belastung fühlt.
Hier kann man leider nicht immer auf die zusätzliche psychologische Zusatzbetreuung setzen, die es sehr oft noch bräuchte. Wie kooperationswillig und -fähig Betroffene sind, ist dabei sowohl eine Frage der Erkrankung wie auch generell eine Typ-Frage.
Darüber hinaus ist nicht immer einfach, den zuständigen Reha-Träger für die gewünschte Leistung zu finden, bestimmt das Gesetz (§ 14 SGB IX) doch, dass der Antrag auf eine Reha-Leistung bei jeder Renten-, Kranken- oder
Unfallversicherung oder bei der Agentur für Arbeit gestellt werden kann. Innerhalb von 14 Tagen wird dann entschieden, welcher Reha-Träger für die Entscheidung über die gewünschte Reha-Leistung zuständig ist. Dabei kann es regionale Unterschiede geben.
Viele Betroffene wissen gar nicht, welche Unterstützungsmöglichkeiten bestehen. Dies kann auch für den Arbeitgeber wichtig sein, da gerade die Anschaffung von (technischen) Hilfsmitteln entscheidend zum Reha-Erfolg beitragen kann und unter Umständen von einem der Träger übernommen werden müsste. Hier heißt es: Dranbleiben! Je früher die richtigen Maßnahmen möglichst vollumfänglich in die Wege geleitet werden, desto besser sind die Chancen für den größtmöglichen Erfolg und die glückliche und gesunde Rückkehr ins Arbeitsleben.
Dr. Silvija Franjic, Onlineredakteurin + Jobcoach