Angst und Arbeit : Die vielen versteckten Gesichter der Fehlzeiten
In Deutschland wurden die Rückenleiden als Volkskrankheit Nummer eins nun von den Krankschreibungen aufgrund von Depressionen, Ängsten und anderen psychischen Leiden eingeholt. Angst bei oder vor der Arbeit ist etwas, was in der Arbeitswelt am besten gar nicht vorkommen sollte, aber für viele trauriger und quälender Alltag ist.
Laut einer aktuellen Erhebung der Barmer Ersatzkasse sind psychische Probleme im vergangenen Jahr verantwortlich gewesen für fast jeden vierten krankheitsbedingt ausgefallenen Arbeitstag in Baden-Württemberg. Diese Diagnosen haben die Muskel-Skelett-Erkrankungen wie beispielsweise Rückenschmerzen damit an der Spitze der Fehltage-Statistik abgelöst. „Angst im Zusammenhang mit Arbeit“ steht erst einmal für etwas, das man auf den ersten Blick kaum sieht, und kann sowohl unterschiedliche Ursachen haben wie auch verschiedenste Krankheitssymptome verursachen.
Für viele sind Ein- oder Durchschlafstörungen, übermäßige Sorgen oder bereits eingetretene körperliche Effekte und weitere Begleiterscheinungen, Realität und Routine – mit wahrscheinlich sogar weiter steigender Tendenz. Wenn dies zusammenhängend mit der Beschäftigung einen solchen Punkt erreicht hat, dann ist bereits einiges zusammengekommen, das unbedingt im Vorfeld hätte erkannt und verhindert werden müssen. Diese Ängste haben viele Gesichter und sind dann von den Betroffenen oft nur schwer und auch nur mit professioneller Unterstützung in den Griff zu bekommen.
Die hierauf zurückzuführenden und in dieser Höhe nie dagewesenen Krankenstände müssen ein alarmierendes Zeichen für Führungskräfte und Personalverantwortliche sein. Es sollte der Wirtschaft und Gesellschaft deutlich bewusster werden, dass Mitarbeiter mit ihren Sorgen und Nöten nicht mehr in dem Maße „alleingelassen“ werden sollten bzw. dürfen, wie es aktuell gerade der Fall ist. Wer von Fachkräftemangel spricht und gleichzeitig gutes Human Capital Management betreiben will, der sollte ebenso daran denken, seine Fürsorgepflicht in einem deutlich höheren Maße ernst zu nehmen, als er es bisher getan hat.
Existenzängste
Angesichts der aktuellen Energie- und der damit einhergehenden Wirtschaftskrise sind nicht nur Geringverdiener sehr um ihre Existenz und Zukunft besorgt. Während Reiner Hoffmann, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), nun weiterhin deutliche Lohnerhöhungen fordert, zahlen manche Unternehmen bereits einen Inflationsausgleich. Hier warnen die Ökonomen aber vor einer Stagflation. Bei viel mehr Menschen, als es sonst bisher der Fall war, steigt nicht nur die Angst, von der eigenen Arbeit nicht mehr leben zu können, sondern auch die Angst vor Schulden und Vermögensverlusten, wenn Rechnungen nicht mehr zu bezahlen sind.

Verstärkt wird dieses große Gefühl der existenziellen Unsicherheit noch durch die Geschwindigkeit und Unberechenbarkeit der dazu führenden Ereignisse. Hinzu gesellt sich je nach Branche und Unternehmen die Furcht um den Arbeitsplatz, da auch hier das Fortbestehen in Gefahr geraten kann. Selbst wenn so manche positive, ausgleichende Geste sich da wie ein Tropfen auf dem heißen Stein auswirken mag, so sind solche Zeichen und Aktionen wichtiger denn je, um ein Gefühl von Zusammenhalt und Zukunft zu vermitteln. Personalberater beklagen zudem unser gesellschaftliches Phänomen der generell nachlassenden Verbindlichkeit. Außerdem könnte die rein digitale Bewerbungsphase während Corona dazu beigetragen haben, dass Kandidaten kaum ein emotionales Verhältnis zum Arbeitgeber entwickelt haben und umgekehrt, was sich in Krisensituationen möglicherweise für beide Seiten ungünstig auswirkt.
Versagensängste oder Angst vor Überforderung
Auch eine zu hohe Arbeitsbelastung kann Ängste hervorrufen. Nicht mehr bewältigbare Aufgaben, viel zu kurze Abgabefristen oder Ziele, die schlichtweg nicht erreichbar sind, erhöhen den Druck und Stress zusätzlich und können dann sogar zu Panik führen. Das wiederum befördert in manchen Fällen die Furcht vor dem völligen Kontrollverlust. Ausgelöst werden solche Emotionen oft durch bestimmte Situationen. Viele kennen das, wenn sie es nicht gewohnt sind, einen Vortrag zu halten, und sich damit überfordert fühlen. Die hier benannte Angst unterscheidet sich aber deutlich von einem normalen Lampenfieber und ruft bereits starke konkrete körperliche Reaktionen hervor.
Wenn Leistungsdruck oder furchteinflößende Situationen bei der Arbeit zum Dauerzustand werden, veranlasst dies Betroffene oft dazu, nur noch mit Unbehagen oder gar nicht zur Arbeit zu gehen. In unserer schnelllebigen Zeit werden viel Flexibilität und Anpassungswille im Namen des Erfolgs von den Mitarbeitern gefordert. Es gibt aber Menschen, für die Veränderungen die Hölle bedeuten oder schon eine (bestimmte) Fortbildung einfach nur Horror ist. Deswegen müssen hier ein vorausschauendes Denken und ein umsichtiges Verhalten einen höheren Stellenwert bekommen, um kommende „Katastrophen“ zu verhindern und sie nicht später für alle Beteiligten viel zu teuer bezahlen zu lassen. Deshalb sollte ein Empathie-Training zur Pflicht werden für Personaler und Entscheider.
Mobbing und Belästigung
Unternehmen gelingt es oft nur schwer, eine gesunde „Konkurrenzkultur“ zu etablieren. In unserer Leistungsgesellschaft gehört die Ellenbogenmentalität zum „guten Ton“, wenn es um die Erzielung von Erfolgen geht. Dabei sind die Themen Mobbing oder auch (sexuelle) Belästigung zunächst kaum zu greifen. Hier werden die Übergriffe in scheinbar harmlose Handlungen „verpackt“ oder finden im Hintergrund statt und werden oft erst – wenn überhaupt – bemerkt, wenn die Opfer schon massiv betroffen sind und die (gesundheitlichen) Effekte bereits bedenkliche Dimensionen erreicht haben. Insbesondere bei schambesetzten Themen wird generell gern geschwiegen. Wird eine Sache unangenehm, will es niemand gewesen sein, der verantwortlich ist, und wie will man im Grunde nachweisen, wenn Menschen aus dem Arbeitsumfeld einfach wegsehen, statt zu handeln. Hier greift das Thema Angst oft „doppelt“, weil die nicht direkt Betroffenen oder Involvierten Befürchtungen haben, etwas falsch zu machen, selbst zur Zielscheibe oder zum Opfer zu werden oder für zu viel Unruhe zu sorgen, indem man solche gravierenden Dinge benennt.
Wenn es darum geht, Mobbing- oder Belästigungsopfer zu schützen, fehlen zu oft noch klare Handlungslinien und den Führungskräften mangelt es meist an Fachwissen, wie das Täterhandeln in diesen Fällen umgehend einzudämmen ist und welche Konsequenzen schnellstmöglich gezogen werden – stattdessen wird allzu oft erst einmal (zu lange) geschaut und geredet, um die laufenden Arbeitsprozesse möglichst geordnet und „friedlich“ weiterzuführen.
Wenn Betroffene an diesem Punkt nicht schon denken, nun auf dem Altar der Feigheit oder Bequemlichkeit geopfert worden zu sein, bekommen sie schnell das Gefühl, dass das Anvertrauen ein Fehler war und sie weder von der Gruppe noch von oben geschützt werden. Indem nicht in dem gebotenen Maße gehandelt wird, fühlen sich viele der Übergriffstäter geradezu bestätigt und unter Umständen geradezu ermuntert, während das Opfer weiter und nun vielleicht sogar noch mehr leiden muss. Wer einmal die Angst des völligen Ausgeliefertseins
bei der Arbeit verspürt, dem wird diese in demselben Arbeitsumfeld kaum wieder zu nehmen sein. Mit der Erschütterung des (menschlichen) Arbeitsurvertrauens sind auch schon jüngere Menschen konfrontiert. Hier wird es besonders schwierig, da sie weder auf Vergleiche noch auf positive Arbeitserfahrungen zurückgreifen können.
Angst bei der Arbeit als Krankheitsbild: Arbeitsplatzangst oder Arbeitsplatzphobie
Auftretende Symptome der Arbeitsplatzangst können sein: ständige Müdigkeit, permanente Ein- oder Durchschlafstörungen, Konzentrationsprobleme, eine erhöhte Reizbarkeit, ungewöhnliche Schreckhaftigkeit oder körperliche Reaktionen in Form von Zittern, Zucken bis hin zu Schluckbeschwerden oder einer sichtbaren Nervosität. Mit solchen Angststörungen gehen oft auch eine (ständige) übermäßige Besorgnis über alltägliche Dinge einher und das Empfinden von unkontrollierbaren Sorgen. Angststörungen im Zusammenhang mit der Arbeit können sich unterschiedlich äußern. Entweder scheuen Betroffene die reale Konfrontation mit der Arbeit oder sie haben bereits Angst, wenn sie nur an ihren Arbeitsplatz denken. Letzteres bezeichnet man auch als Arbeitsplatzphobie.
Dr. Silvija Franjic, Onlineredakteurin + Jobcoach