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Im Blick: Arbeitsrecht

Lesezeit 14 Min.

Nun also doch – Arbeitgeber sind zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21

Es ist wohl die wichtigste arbeitsrechtliche Entscheidung des Jahres und wurde von der Presse als „echter Paukenschlag“ für Unternehmen betitelt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat festgestellt, dass alle Arbeitgeber zur Erfassung der Arbeitszeiten der Arbeitnehmer verpflichtet sind. Dies gilt unabhängig von der Größe des Unternehmens und davon, ob ein Betriebsrat besteht.

Dennoch ist – solange die Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht sind – von einem hektischen Aktionismus abzuraten. Vielmehr sollten sich Arbeitgeber darauf konzentrieren, ob geeignete Tools im Unternehmen vorhanden sind bzw. ob Betriebsvereinbarungen auf dem aktuellen Stand sind.

Verortung des Urteils

Im Mai 2019 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH, C-55/18), dass die Mitgliedstaaten Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches Zeiterfassungssystem einzurichten, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Nur auf diese Weise lasse sich die Einhaltung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Arbeitszeitrichtlinie sicherstellen, die Ruhezeiten und begrenzte Höchstarbeitszeiten vorschreiben.

Bisher hat der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben aus Luxemburg nicht umgesetzt. Es wurde stattdessen nur umfassend über eine Novellierung des Arbeitszeitgesetzes diskutiert. Eine

gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers zur Aufzeichnung der Arbeitszeit galt nach bisherigem Verständnis nur hinsichtlich der über die werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden hinausgehenden Arbeitszeit bzw. für jede an Sonn- und Feiertagen geleistete Arbeitszeit. Darüber hinaus jedoch nicht. Dies sieht das BAG nun offenbar anders.

Der Sachverhalt

Eigentlich ging es in dem Verfahren um die Reichweite der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats. Arbeitgeber und Betriebsrat stritten um die Frage, ob der Betriebsrat vom Arbeitgeber initiativ die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung verlangen kann. Hintergrund dieses Streits waren Verhandlungen zwischen den Betriebsparteien über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Der Arbeitgeber hatte hierfür bereits die zur elektronischen Zeiterfassung erforderliche Hardware angeschafft. Nachdem das Unternehmen jedoch die Entscheidung traf, keine Zeiterfassung im Betrieb einzuführen, und die Verhandlungen mit dem Betriebsrat abgebrochen wurden, wollte der Betriebsrat das Bestehen eines Initiativrechts zur Einführung einer elektronischen Zeiterfassung gerichtlich festgestellt wissen.

Das BAG hatte ein solches Initiativrecht bereits 1989 mit Verweis auf den Gesetzeszweck abgelehnt. Dem stellte sich jedoch das Landesarbeitsgericht Hamm mit Beschluss vom 27.07.2021 (7 TaBV 79/20) entgegen und stellte fest, dass Betriebsräte sehr wohl von sich aus die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung verlangen könnten. Der Arbeitgeber legte hiergegen Rechtsbeschwerde ein.

Im Blick Arbeitsrecht 2022-7-min
Im Blick Arbeitsrecht 2022-7-min

Die Entscheidung

Die Beschwerde des Arbeitgebers war erfolgreich. Das BAG lehnt ein Initiativrecht sowie ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung ab.

Die Begründung hierzu ist wie folgt: Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) besteht nach dem Eingangssatz dieser Vorschrift nur, soweit keine gesetzliche oder tarifliche Regelung vorhanden ist. Eine gesetzliche Pflicht zur Einführung eines Zeiterfassungssystems ergebe sich aber bereits aus dem Gesetz. Der Arbeitgeber sei gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Die unionsrechtskonforme Auslegung dieser Vorschrift ergebe, dass hieraus auch die Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeiten der Arbeitnehmer folge. Damit bleibe für ein Mitbestimmungsrecht kein Raum.

Kurz erklärt

  • Damit steht fest, dass den Betriebsräten kein Initiativrecht zusteht und sie nicht gegen den Willen der Unternehmen die Einführung von elektronischen Zeiterfassungssystemen verlangen können.
  • Ausweislich der Pressemitteilung schreibt das BAG dem Arbeitgeber nicht vor, dass die Zeiterfassung technisch oder elektronisch zu erfolgen habe. Sie muss nur den Vorgaben des EuGH genügen, der ein objektives, verlässliches und zugängliches System der Zeiterfassung verlangt.
  • Die Entscheidung ist in der Praxis insbesondere für Überstundenprozesse entscheidend. Das BAG (04.05.2022 – 5 AZR 359/21) hatte vor wenigen Monaten in diesem Zusammenhang festgestellt, dass die Erwägungen des EuGH-Urteils vom 14.05.2019 nichts an der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess ändern. Demnach gilt weiterhin: Möchte ein Arbeitnehmer die Vergütung von Überstunden klageweise durchsetzen, ist er weiterhin dazu verpflichtet, die geleisteten Überstunden sowie die arbeitgeberseitige Anordnung dieser Überstunden darzulegen und zu beweisen. Soweit die Arbeitszeit jedoch minutengenau erfasst werden muss, ist dies deutlich einfacher als bisher.

Praxistipp

Zwar sind Arbeitgeber nun zur Einführung eines Systems verpflichtet, mit dem sie die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfassen können. Dies bedeutet jedoch nicht die Rückkehr zur Stechuhr oder das Ende der Vertrauensarbeitszeit.

Es wird weiterhin möglich sein, dass Unternehmen die Dokumentation der Arbeitszeiten auf die Arbeitnehmer delegieren, wobei hier wohl regelmäßige Plausibilitätskontrollen erforderlich sein werden. Ob und inwieweit das BAG in den schriftlichen Urteilsgründen diesbezüglich nähere Vorgaben aufstellt, bleibt abzuwarten.

Zudem sollten Arbeitgeber – sofern nicht schon geschehen – klare Regelungen zur Anordnung und Ableistung etwaiger Überstunden treffen, um etwaige Überstundenprozesse zu vermeiden. Spannend bleibt auch, ob der vom BAG mit dieser Entscheidung „überholte“ Gesetzgeber sich entsprechend den Vorgaben des Koalitionsvertrags noch an das sehr wichtige Thema „Reform des Arbeitszeitrechts“ herantrauen wird.

Höhe der Karenzentschädigung beim nachvertraglichen Wettbewerbsverbot

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 25.08.2022 – 8 AZR 453/21

Sobald das Arbeitsverhältnis endet, endet gleichzeitig auch die Pflicht des Arbeitnehmers zur Wettbewerbsenthaltung. Der Arbeitnehmer kann sein Erfahrungswissen dann bei Konkurrenzunternehmen einsetzen. Um eine spätere Konkurrenz zu verhindern, vereinbaren Arbeitgeber häufig ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot.

Wirksamkeitsvoraussetzung hierfür ist insbesondere die Vereinbarung einer Entschädigungszahlung für die Zeit des Verbots, der sog. Karenzentschädigung. Im Zusammenhang mit dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot und der Höhe der Karenzentschädigung gibt es immer wieder Streitigkeiten. Nun hatte das BAG darüber zu entscheiden, ob sog. Restricted Stock Units („RSUs“), die durch die Muttergesellschaft gewährt werden, bei der Höhe der Karenzentschädigung zu berücksichtigen sind.

Verortung des Urteils

Die Höhe der Karenzentschädigung ist maßgeblich für die Wirksamkeit des nachträglichen Wettbewerbsverbots. Im Falle einer zu niedrig angesetzten Karenzentschädigung ist das Wettbewerbsverbot für den Arbeitnehmer nicht verbindlich (§ 74 Abs. 2 Handelsgesetzbuch (HGB)).

Die gesetzliche Regelung sieht vor, dass die Karenzentschädigung für jedes Jahr des Verbots mindestens die Hälfte der von dem Arbeitnehmer zuletzt bezogenen vertraglichen Leistungen betragen muss. Dazu gehören sämtliche Geld- und Sachleistungen. Auch Sonderleistungen wie Gratifikationen, Weihnachtsgeld oder Dienstwagen sowie variable Gehaltsbestandteile sind bei der Berechnung zu berücksichtigen. Was gilt nun bei RSUs?

Der Sachverhalt

Der Arbeitnehmer war bei der Arbeitgeberin von 2012 bis Januar 2020 beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vereinbarten die Parteien ein neunmonatiges nachvertragliches Wettbewerbsverbot, wonach sich die Arbeitgeberin zur Zahlung einer Karenzentschädigung verpflichtete. Als Höhe der Karenzentschädigung wurde, die Hälfte der vom Angestellten zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistung“ vereinbart.

Der Arbeitnehmer nahm mit separater Vereinbarung an einem Aktienoptionsprogramm („RSU-Programm“) der US-amerikanischen Obergesellschaft teil. Die Arbeitgeberin übernahm die Abrechnung bereits übertragener RSUs und rechnete intern mit der Obergesellschaft ab. Für das Jahr 2019 teilte die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer unter dem Titel „Zusammenfassung der persönlichen Vergütung“ die voraussichtliche Höhe der Vergütung mit, die sich aus seinem Grundgehalt und dem aktuellen Aktienwert der im Kalenderjahr voraussichtlich fälligen RSUs zusammensetzte. Sie wies in einer „informativen Übersicht“ darauf hin, dass die RSUs von der Obergesellschaft zur Verfügung gestellt und bei der Berechnung von Entschädigungen für nachvertragliche Wettbewerbsverbote nicht berücksichtigt würden.

Im Oktober 2019 endete das Arbeitsverhältnis durch Abwicklungsvereinbarung. Darin war u. a. abweichend von Vereinbarungen zwischen dem Arbeitnehmer und der Obergesellschaft geregelt, dass alle noch im Jahr 2019 fälligen RSUs trotz der Freistellung an ihn übertragen würden. Nach dem Ausscheiden erhielt der Arbeitnehmer die vereinbarte Karenzentschädigung.

Mit seiner Klage begehrte der Arbeitnehmer eine Karenzentschädigung, bei deren Berechnung auch die im Dreijahreszeitraum vor Ausscheiden gewährten RSUs Berücksichtigung finden sollten.

Die Entscheidung

Das BAG entschied, dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Zahlung einer höheren Karenzentschädigung hat.

RSUs sind keine „vertragsmäßigen Leistungen“ im Sinne der vertraglichen Vereinbarung. Der Begriff der „vertragsgemäßen Leistungen“ umfasst nur solche Leistungen, die auf dem Austauschcharakter des Arbeitsvertrags beruhen und die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer als Vergütung für geleistete Arbeit schuldet. Die Vereinbarungen über die Gewährung der RSUs ist jedoch mit der Obergesellschaft getroffen worden.

Die Berücksichtigung der RSUs bei der Berechnung der Karenzentschädigung setzt zumindest voraus, dass die Arbeitgeberin eine (Mit-)Verpflichtung übernommen hat. Eine solche ergebe sich nicht daraus, dass die Arbeitgeberin für die Obergesellschaft die steuerliche und administrative Abwicklung hinsichtlich der RSUs übernommen hat.

Praxistipp

Das In-Aussicht-Stellen von RSUs ist ein beliebtes Mittel, um Arbeitnehmer an den Konzern zu binden sowie gleichzeitig finanziell attraktive Anreize zur Unternehmenstreue und auch genügend Leistungsanreiz zu schaffen.

Arbeitgeber sollten darauf achten, dass sie nicht für die Gewährung von RSUs durch Dritte – insbesondere der Muttergesellschaft – einstehen, da dies erhebliche finanzielle Konsequenzen haben kann. Eine Einstandspflicht wird nicht schon dann angenommen, wenn der Arbeitgeber inhaltlich das „Ob“ der Gewährung, die Kriterien oder die Höhe der Leistung (beispielsweise durch Beurteilungen oder Vorschläge) beeinflusst. Maßgeblich ist vielmehr die vertragliche Beziehung. Für Arbeitnehmer kann eine fehlende Einstandspflicht des Arbeitgebers unerfreulich sein, da es möglicherweise schwierig ist, gegen die Muttergesellschaft Ansprüche einzuklagen – zumal Muttergesellschaften häufig im Ausland sitzen und anderen Rechtsordnungen unterliegen.

Kurz erklärt

Nach diesem Urteil ist klar, dass bei der Berechnung der Karenzentschädigung Leistungen Dritter, wie beispielsweise durch die Muttergesellschaft gewährte RSUs, außer Betracht bleiben, es sei denn, die Parteien haben dies anders geregelt.

Flüchtigkeitsfehler können für Kündigung reichen

Landesarbeitsgericht (LAG) Sachsen, Urteil vom 07.04.2022 – 9 Sa 250/21

Verhaltensbedingte Kündigungen stellen Arbeitgeber in der Praxis immer wieder vor Herausforderungen. Oft stellt sich das Problem, dass einschlägige Abmahnungen fehlen. Ohne Abmahnung scheitern jedoch viele verhaltensbedingte Kündigungen in einem Gerichtsverfahren. Dies entspricht dem Ultima-Ratio-Prinzip, nach dem eine Kündigung regelmäßig nur dann in Betracht kommt, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung steht.

Das LAG Sachsen hat nun entschieden, dass auch „kleine“ Verletzungen der arbeitsvertraglichen Pflichten, die schnell im Eifer des Gefechts unterlaufen, abgemahnt werden können und bei einer gewissen Häufigkeit eine Kündigung erfolgreich auf solche Flüchtigkeitsfehler gestützt werden kann. Allerdings muss die Abmahnung selbst verhältnismäßig sein, ebenso wie die Kündigung, so das LAG Sachsen.

Verortung des Urteils

Das Urteil dreht sich um die Frage, ob Flüchtigkeitsfehler zum Ausspruch einer Kündigung reichen. Dies bejahte das LAG Sachsen. Das heißt, dass alltägliche Flüchtigkeitsfehler Mitarbeiter den Job kosten können. Jedenfalls dann, wenn sich Fehler häufen, also Mitarbeiter z. B. vergessen, den Schreibtisch mit sensiblen Kundendaten zu verschließen oder den Computer zu sperren.

Der Sachverhalt

Die Arbeitnehmerin war bei der Beklagten als Kreditsachbearbeiterin beschäftigt. Im Unternehmen galt eine Richtlinie „zur Informationssicherheit am Arbeitsplatz“ bzw. „Clean Desk Policy“. Geregelt waren darin konkrete Verhaltensweisen zum Datenschutz, wie etwa das Absperren der Schreibtischfächer und die ordnungsgemäße Abmeldung aus den IT-Systemen.

Gegen diese Richtlinie verstieß die Arbeitnehmerin mehrfach. Sie erhielt dafür kurz hintereinander zwei Ermahnungen und ca. einen Monat später eine Abmahnung. Sie hatte sich u. a. nicht ordnungsgemäß aus den IT-Systemen abgemeldet, sodass die Gefahr eines unberechtigten Datenzugriffs bestand. Später folgten weitere Abmahnungen wegen diversen Verstößen gegen die „Clean Desk Police“, weil sie ungesichert sensible Schreiben auf ihrem Schreibtisch liegen gelassen und sich erneut nicht korrekt aus den IT-Systemen abgemeldet hatte. Als der Arbeitgeber erneut feststellte, dass ihr Schreibtisch mit sensiblen Kundendaten nicht ordnungsgemäß abgesperrt war, folgte die Kündigung.

Im Blick Arbeitsrecht 2022-7-2-min
Im Blick Arbeitsrecht 2022-7-2-min

Die Entscheidung

Für das Arbeitsgericht Leipzig waren die Pflichtverletzungen der Klägerin nicht gravierend genug. Das LAG Sachsen sah dies anders und gab der beklagten Arbeitgeberin recht:

„Es ist der Beklagten nicht zuzumuten, weitere Abmahnungen auszusprechen, die keine Verbesserungen zeigen. Sie muss im Gegenteil aufpassen, dass aufgrund der Vielzahl die Warnfunktion nicht verloren geht.“

Auch bei erstmaligen und nur leichten Pflichtverstößen können Arbeitgeber eine Abmahnung aussprechen. Anders als die erste Instanz sieht das LAG Sachsen diese nicht als unverhältnismäßig an.

Zur Begründung: Eine Abmahnung sei nicht schon deshalb unverhältnismäßig, weil nur ein leichter Pflichtverstoß vorliegt und zuvor keine einschlägige Ermahnung oder Rüge als milderes Mittel erteilt wurde. So sah das Gericht z. B. in dem Nichtabsperren des Schreibtisches die Verletzung einer Hauptpflicht aus dem Arbeitsvertrag und verweist auf eine ältere Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 13.12.2007, Az. 2 AZR 818/06). Darin heißt es wie folgt:

„Selbst wenn kein gravierender Verstoß gegen arbeitsvertragliche Verpflichtungen vorliegt, (ist) eine negative Prognose dann gegeben …, wenn der Arbeitnehmer nach einer Abmahnung den Vertrag in gleicher oder ähnlicher Art erneut verletzt (vgl. Hierzu BAG, NZA 2008, 589, Rn. 38). Es kann insofern ein Schluss auf eine negative Entwicklung des Arbeitsverhältnisses gezogen werden, wenn wiederholte Vertragsverletzungen vorliegen.“

Ausschlagend war auch, dass die Summe der einzelnen Pflichtverletzungen eine erhebliche Pflichtverletzung für sich war, die auch zu Ablaufstörungen bei der Beklagten geführt hat.

Zudem war der die Kündigung letztlich auslösende Verstoß gegen die Datenschutzvorgaben für sich gesehen ebenfalls erheblich.

Kurz erklärt

  • Auch vermeintliche Flüchtigkeitsfehler können ernste Auswirkungen haben. Das macht dieser Fall deutlich.
  • Viele kleine Pflichtverletzungen können in der Summe ein ausreichender Kündigungsgrund sein.
  • Dennoch unterliegen Abmahnungen grundsätzlich einer Verhältnismäßigkeitsprüfung. Besonderer Bedeutung können in diesem Zusammenhang Datenschutzverstöße haben.

Praxistipp

Für Arbeitgeber handelt es sich um eine sehr interessante Entscheidung, die „genutzt“ werden kann, wenn es darum geht, eine verhaltensbedingte Kündigung möglichst gerichtsfest vorzubereiten. In einem solchen Fall lohnt es sich, auch kleine Pflichtverletzungen einzeln abzumahnen und bei einem wiederkehrenden Pflichtenverstoß eine Kündigung auszusprechen.

BetrVG: Filialleiterin mit wenig Personalverantwortung ist keine leitende Angestellte

Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss vom 04.05.2022 – 7 ABR 14/21

Ein arbeitsrechtlicher Dauerbrenner ist die Frage, wann jemand leitender Angestellter ist. Diese Frage kann sich beispielsweise für die Anwendbarkeit des Arbeitszeitgesetzes (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG) stellen. Aber auch im Zusammenhang mit Betriebsratsthemen kann diese Frage relevant werden. Dass die Hürden für die Annahme eines leitenden Angestellten nach § 5 Abs. 3 BetrVG sehr hoch sind, zeigt ein aktuelles Urteil des BAG.

Verortung des Urteils

Es geht um die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 BetrVG. Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG ist leitender Angestellter, wer nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt ist. Dass hierfür nicht jede Befugnis ausreicht, verdeutlicht das BAG-Urteil.

Der Sachverhalt

Die Arbeitgeberin betreibt ein Einzelhandelsunternehmen für Haushaltsgegenstände mit bundesweit 58 Filialen. Im Rahmen einer Betriebsratswahl engagierte sich eine als „Store-Managerin“ angestellt Filialleiterin für den Wahlvorstand, kandidierte für den Betriebsrat und wurde auch in das einköpfige Gremium gewählt.

Die Wahl wurde mit der Begründung angefochten, die Frau sei als leitende Angestellte i. S. v. § 5 Abs. 3 BetrVG weder wahlberechtigt noch wählbar gewesen und die Betriebsratswahl sei damit unwirksam.

Betriebsrat-min
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Die Entscheidung

Nachdem bereits die ersten beiden Instanzen diese Argumentation abgelehnt hatten, verwarf nun auch das BAG den Wahlanfechtungsantrag des Arbeitgebers mit der Begründung, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 BetrVG nicht vorlagen.

Ausschlaggebend war die Personalkompetenz der Store-Managerin, die nur von untergeordneter Bedeutung für den Betrieb und damit auch für das Unternehmen war. Betreffen die eingeräumten Kompetenzen nur eine geringe Anzahl von Arbeitnehmern, liegen die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG regelmäßig nicht vor. Der Angestellte tritt in diesem Fall nur in einem unbedeutenden Umfang als Repräsentant des Arbeitgebers auf, so das BAG.

Eine der Voraussetzungen für die Einstufung als leitender Angestellte sei nämlich, dass diesen „rechtlich und tatsächlich ein eigener und erheblicher Entscheidungsspielraum zur Verfügung steht“. Daran fehlte es hier jedoch. Zwar durfte die Store-Managerin laut Stellenbeschreibung nominell Personal rekrutieren und entlassen und auch Disziplinarmaßnahmen einleiten. Allerdings begründet nicht jede Einstellungs- und Entlassungsbefugnis „‚für sich gesehen‘ den Status als leitender Angestellter“, so der Senat.

Kurz erklärt

  • Store-Manager sind in der Regel in den Betriebsrat wählbar und können an einer Betriebsratswahl auch teilnehmen.
  • In der Praxis gibt es nur wenig „echte“ leitende Angestellte, die die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 BetrVG erfüllen.
  • Die unternehmerische Bedeutung der Personalverantwortung (hier: für eine Store-Managerin) kann sich aus der Anzahl der Arbeitnehmer ergeben, auf die sich die selbstständige Einstellungs- und Entlassungsbefugnis bezieht. Umfasst diese nur eine geringe Anzahl von Arbeitnehmern, liegen die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG regelmäßig nicht vor.

Praxistipp

Die Abgrenzung zwischen leitenden und nicht leitenden Angestellten ist sehr schwierig. Arbeitgebern ist zu raten, sich – soweit dies möglich ist – mit dem Betriebsrat auf eine Lösung zu verständigen. Soweit kein Einvernehmen erzielt werden kann, müssen Arbeitgeber wissen, dass ein Gerichtsverfahren in den meisten Fällen zu ihren Lasten ausgeht, da die gesetzlichen Hürden für einen „echten“ leitenden Angestellten sehr hoch sind.

Dr. Michaela Felisiak, Rechtsanwältin, ADVANT Beiten

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