Sensibilisierung : Präsentismus – auch im Homeoffice?
Es gibt Menschen mit einer ganz besonderen Präsenz – wenn die einen Raum betreten, füllen sie ihn gefühlt komplett aus. Das allerdings hat mit Präsentismus nichts zu tun. Gemeint ist vielmehr die reine Anwesenheit am Arbeitsplatz, ohne dass die volle Leistungsfähigkeit besteht – in der Regel aufgrund gesundheitlicher Probleme.
Präsentismus führt für das Unternehmen zu Kosten, die teilweise gar nicht kalkulierbar sind. Denn in einem gesundheitlich beeinträchtigten Zustand ist die Wahrscheinlichkeit, Fehler zu machen, sehr groß. Es fehlt dann an der notwendigen Konzentration. Welche Auswirkungen solche Fehler haben können, hängt natürlich sehr von der Art der Arbeit und dem Arbeitsplatz ab. Gerade im produzierenden Gewerbe können kurzfristige Fehlleistungen zu hohen Kosten (Ausschuss, beschädigte Maschinen) und sogar zur Gefährdung des Betroffenen selbst und anderer Mitarbeiter führen. Denken Sie zum Beispiel an einen Gabelstaplerfahrer, der wegen einer Grippe unkonzentriert durch die Regalreihen oder über den Hof fährt.
Aber auch im Verwaltungsbereich kann Unkonzentriertheit schnell zu Problemen führen, beispielsweise bei der Prüfung von Rechnungen oder der Durchführung von Überweisungen. Fehler werden nicht erkannt, Manipulationen nicht entdeckt oder einfach falsche Beträge eingegeben.
Neben Fehlern drohen aber vor allem gesundheitliche Folgen für die Betroffenen. Studien zeigen, dass durch Arbeit trotz Erkrankung das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt. Manche Erkrankungen können sich – wenn sie nicht auskuriert werden – zu chronischen Krankheitsbildern verändern. Dann wird aus Präsentismus schnell Absentismus, also das komplette Fehlen am Arbeitsplatz.

Nicht zu vergessen: Einige Erkrankungen können bei Kontakt auf andere Kollegen übertragen werden und bei denen zu Arbeitsunfähigkeit und Abwesenheit (oder ebenfalls zum Präsentismus) führen.
Warum machen die Beschäftigten das? Es ist eine Mischung, die bei jedem Betroffenen unterschiedlich sein kann. Einige gehen aus – überzogenem – Pflichtgefühl zur Arbeit, wollen ihren Chef oder ihre Kollegen nicht „im Stich lassen“. Sehr verbreitet ist das Phänomen im Übrigen bei Führungskräften, die oft meinen, ohne sie gehe es nicht.
Angst um den Arbeitsplatz ist ein weiteres, starkes Motiv. Besonders häufig tritt das Phänomen bei Arbeitnehmern mit mehreren Kindern auf. Die denken oft, dass sie schon wegen Krankheit der Kinder häufig fehlen, und wollen das nicht noch durch eigene Erkrankungen verstärken. Aber auch Führungskräfte befürchten mitunter, dass ihre Abwesenheit an ihrem Status rüttelt und jemand an ihrem Stuhl sägen könnte.
Wie groß ist das Problem?
Nach einer Untersuchung der DAK aus dem Jahr 2014 gehen rund zwei Drittel aller Arbeitnehmer krank zur Arbeit. 36 Prozent der Befragten waren an drei bis zehn Tagen krank bei der Arbeit, bei jedem Sechsten waren es sogar elf bis 20 Tage.
Präsentismus im Homeoffice – nur halb so schlimm?
Erholen kann man sich am besten zu Hause – so weit, so klar. Aber wenn man dort krank arbeitet? Im Grunde ist es derselbe Effekt wie bei der Anwesenheit im Büro. Zwar fallen mögliche Fehlerquellen wie im produzierenden Gewerbe weg, aber die in der Verwaltung drohenden Gefahren bleiben unverändert. Einziger „Vorteil“ bei Präsentismus im Homeoffice: Man kann keine anderen Kollegen anstecken.
Ansonsten ist die Gefahr des Präsentismus im Homeoffice sogar noch größer. Denn bei einem notwendigen Weg ins Büro kommen vielleicht etwas eher Zweifel auf, ob man sich das zumuten kann oder sollte. Zu Hause kommt schnell der Gedanke auf: „Ich kann ja erst einmal anfangen, dann sehe ich ja, wie es geht.“
Problematisch ist, dass die soziale Kontrolle im Homeoffice weniger funktioniert. Ein hustender oder schnupfender Kollege im Büro wird schon eher von den Kollegen oder dem Vorgesetzten aufgefordert, lieber nach Hause zu gehen. Im Homeoffice wird der Zustand vielleicht gar nicht bemerkt oder als nicht so gravierend eingestuft („Der wird schon wissen, was er tut!“).

Was tun gegen Präsentismus?
An erster Stelle steht das allgemeine Klima im Unternehmen. Wenn klar ist, dass man keine Angst um seinen Arbeitsplatz haben muss, wenn man mal krankheitsbedingt ausfällt, sieht die Welt schon gleich ganz anders aus.
Hinzu kommt ein guter kollegialer Umgang. Dabei geht es nicht darum, dass man die Kollegen nicht im Stich lassen möchte, sondern darum, dass jeder akzeptiert, dass andere krank sein können, und die Arbeit der Erkrankten klaglos mit übernimmt.
Eine wichtige Rolle spielt zudem ein gutes betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM). Dabei wird die Bedeutung der individuellen Gesundheit (auch für das Unternehmen) verdeutlicht und das Bewusstsein für die eigene Gesundheit gestärkt.
Ganz verhindern kann man Präsentismus wahrscheinlich nicht, aber durch die Sensibilisierung der Mitarbeiter und vor allem auch der Führungskräfte für das Thema können die Fälle minimiert werden. Es lohnt sich für das Unternehmen, hier vorbeugend tätig zu werden, denn die Kosten von Präsentismus – ob im Unternehmen oder im Homeoffice – können beträchtlich sein.
Und ein noch so guter und wichtiger Mitarbeiter nützt dem Unternehmen nichts, wenn er plötzlich nur schlechte Arbeit abliefert oder aufgrund verschleppter Erkrankungen längerfristig ausfällt.
Jürgen Heidenreich