Im Blick: Arbeitsrecht
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass das Konzernprivileg bei Arbeitnehmerüberlassungen entfällt, wenn der Arbeitnehmer entweder zum Zwecke der Überlassung eingestellt oder beschäftigt wird. Dies schränkt den flexiblen Mitarbeitereinsatz im Konzernumfeld deutlich ein.
BAG: Einschränkungen des Konzernprivilegs
Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 12.11.2024 – 9 AZR 13/24
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 12.11.2024 entschieden, dass das sogenannte Konzernprivileg gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) dann nicht zur Anwendung kommt, wenn Arbeitnehmer mit dem primären Ziel der Überlassung eingestellt oder beschäftigt werden. Mit dieser Entscheidung interpretiert das BAG die gesetzliche Regelung über den Wortlaut hinaus und schränkt den flexiblen Mitarbeitereinsatz im Konzernumfeld erneut ein.
Verortung des Urteils
Das sogenannte Konzernprivileg gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), das die Anwendung der Regelungen des AÜG auf konzerninterne Arbeitnehmerüberlassungen unter bestimmten Voraussetzungen ausschließt, wird seit Jahren kritisch diskutiert.
Die Regelung heißt:
„(3) Dieses Gesetz ist mit Ausnahme des § 1b Satz 1, des § 16 Absatz 1 Nummer 1f und Absatz 2 bis 5 sowie der §§ 17 und 18 nicht anzuwenden auf die Arbeitnehmerüberlassung (…) Nr. 2 zwischen Konzernunternehmen im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird (…)“
Neben nationalen Fragen zur Auslegung und praktischen Anwendung des Privilegs gibt es auch gewichtige europarechtliche Bedenken, die insbesondere auf die Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit (Leiharbeitsrichtlinie) zurückzuführen sind.
Diese sind im Überblick:
- Umgehung der Richtlinienziele
Das Konzernprivileg erlaubt es Konzernen, Arbeitnehmerüberlassungen ohne Einhaltung der strengen Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie durchzuführen. Dies könnte den Schutzmechanismus der Richtlinie unterlaufen und die Stellung der Leiharbeitnehmer im Vergleich zu direkt beschäftigten Arbeitnehmern erheblich schwächen. Eine solche Umgehung widerspricht der Systematik der Leiharbeitsrichtlinie, die eine einheitliche Schutzstruktur für Leiharbeitnehmer schaffen soll. - Widerspruch zur Gleichbehandlungsgrundlage/Missbrauchsgefahr
Die Leiharbeitsrichtlinie verfolgt das Ziel, Leiharbeitnehmern einen angemessenen Schutz zu gewährleisten und sicherzustellen, dass sie im Vergleich mit Stammmitarbeitern hinsichtlich wesentlicher Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gleichbehandelt werden (Art. 5 Abs. 1 Leiharbeitsrichtlinie). Das Konzernprivileg kann dazu führen, dass Leiharbeitnehmer in einem Konzern schlechtergestellt werden, da durch den Ausschluss des AÜG die Gleichbehandlungsgrundsätze nicht greifen. Dies könnte einen Verstoß gegen den unionsrechtlich garantierten Schutz von Leiharbeitnehmern darstellen. - Hieran knüpft auch der Gedanke an, nach dem das Konzernprivileg die Möglichkeit bietet, Arbeitnehmer in einer rechtlichen Grauzone einzusetzen, was zu einer Diskriminierung im Vergleich zu regulären Leiharbeitnehmern führen kann. Die Europäische Kommission hat wiederholt betont, dass solche Sonderregelungen den Missbrauch von Arbeitskräften fördern könnten.
- Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung
Das Bundesarbeitsgericht steht in der Verpflichtung, das deutsche Recht im Einklang mit den Zielen der Leiharbeitsrichtlinie auszulegen. Das aktuelle Urteil und die restriktive Auslegung des Konzernprivilegs durch das BAG könnte daher als Versuch gewertet werden, europarechtliche Bedenken zu adressieren.
Der Sachverhalt
Der Kläger war von 2008 bis 2020 bei der S-GmbH als Sitzefertiger angestellt und arbeitete während seiner gesamten Tätigkeit für die S-GmbH auf dem Werksgelände der Beklagten, einem konzernverbundenen Unternehmen. Er machte geltend, dass zwischen ihm und der Beklagten nach § 10 Abs. 1 i. V. m. § 9 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei, da er verdeckt als Leiharbeitnehmer eingesetzt worden sei.
Gemäß § 10 Abs. 1 AÜG entsteht ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer, wenn der Arbeitsvertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nach § 9 Abs. 1 AÜG unwirksam ist, etwa weil die Arbeitnehmerüberlassung nicht ausdrücklich im Arbeitsvertrag als solche bezeichnet wurde. Diese Regelung findet jedoch keine Anwendung im Rahmen des Konzernprivilegs (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG), sofern der Arbeitnehmer nicht „zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt“ wird (§ 18 AktG).
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen wies die Klage mit Urteil vom 09.11.2023 – 5 Sa 18078/23 – zurück. Es stellte fest, dass die Voraussetzungen des Konzernprivilegs gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG erfüllt seien. Das LAG argumentierte, dass das Privileg nur dann entfalle, wenn die Merkmale „Einstellung“ und „Beschäftigung zum Zwecke der Überlassung“ kumulativ vorliegen. Eine unionsrechtskonforme Auslegung dahingehend, dass „und“ in der gesetzlichen Formulierung als „oder“ zu verstehen sei, lehnte das Gericht ab. Eine solche Auslegung würde eine eindeutige nationale Regelung unzulässig verfälschen. Da der Kläger weder zum Zwecke der Überlassung eingestellt noch beschäftigt wurde, greife das Konzernprivileg. Folglich liege keine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung vor, und ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten sei nicht entstanden.
Die Entscheidung
Das BAG folgte dieser Auffassung nicht und entschied, dass die Konjunktion „und“ im Sinne einer alternativen Aufzählung der genannten Tatbestände zu verstehen sei. Demnach findet das Konzernprivileg keine Anwendung, wenn ein Arbeitnehmer entweder zum Zwecke der Überlassung eingestellt oder beschäftigt wird. Diese Auslegung entspreche dem Willen des Gesetzgebers, so das BAG.
Die Beklagte konnte sich daher nicht auf das Konzernprivileg berufen, da ihr als konzernangehörigem Entleiher über mehrere Jahre hinweg ein Arbeitnehmer überlassen worden war. Eine derartige Praxis deutet laut BAG auf einen entsprechenden Beschäftigungszweck hin.
Das BAG hat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das Landesarbeitsgericht wird nun weitere Feststellungen zur Eingliederung und Weisungsgebundenheit des Klägers treffen, um festzustellen, ob eine (verdeckte) Arbeitnehmerüberlassung vorlag.
Konsequenzen für die Praxis
- In der Praxis ist es durchaus üblich, dass in Konzernen Arbeitnehmer von deren Vertragsarbeitgeber bei einer anderen Gesellschaft eingesetzt und weisungsgebunden in die dortigen betrieblichen Strukturen eingegliedert werden. Dies stellt eine Arbeitnehmerüberlassung dar, die grundsätzlich streng reguliert ist.
- Eine Konzernüberlassung ist allerdings privilegiert, wenn die betreffenden Arbeitnehmer nicht als Zeitarbeitnehmer eingestellt und überlassen werden (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG).
- Nach der BAG-Rechtsprechung liegt eine Beschäftigung zum Zwecke der Überlassung mit Blick auf das Konzernprivileg regelmäßig dann vor, wenn der Arbeitnehmer ab Beschäftigungsbeginn über Jahre hinweg durchgehend bei dem konzernverbundenen Unternehmen eingesetzt wird. D. h. Unternehmen sollten sich bewusst sein, dass sie sich in diesen Fällen nicht mehr auf das Konzernprivileg verlassen können. Die Rechtsfolgen können unter anderem die Verwirklichung von Ordnungswidrigkeiten sowie die Fiktion von Arbeitsverhältnissen sein.
- Die europarechtlichen Bedenken gegen das Konzernprivileg sind weiterhin erheblich, auch wenn das BAG die Gelegenheit nicht genutzt hat, um den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um eine Vorlagefrage zu bitten.
- Das aktuelle Urteil des BAG, das die Anwendung des Konzernprivilegs weiter einschränkt, ist ein Schritt in Richtung einer unionsrechtskonformen Auslegung. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die Regelung in ihrer bestehenden Form langfristig mit dem Unionsrecht vereinbar bleibt. Eine Klärung durch den EuGH scheint zunehmend wahrscheinlich. Bislang können sich Unternehmen auf die Privilegierung noch berufen, sie sollten aber – vorsichtshalber – das „und“ als „oder“ lesen.
Praxistipps
Das Konzernprivileg hat insbesondere bei Auslandsentsendungen im Konzern sowie in grenzüberschreitenden Matrixorganisationen eine hohe praktische Bedeutung. Arbeitgeber, die planen, Mitarbeitende flexibel innerhalb des Konzernverbunds einzusetzen, sollten bereits vor der Ausschreibung von Stellen sorgfältig abwägen, welche Konzerngesellschaft als Vertragsarbeitgeber auftreten soll.
Soweit das Konzernprivileg gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG in Anspruch genommen werden soll, empfiehlt es sich dringend, Mitarbeitende nicht unmittelbar ab Beginn ihres Arbeitsverhältnisses in einer konzernverbundenen Gesellschaft einzusetzen. Auch ein Einsatz innerhalb des Konzernverbunds sollte zeitlich und inhaltlich klar begrenzt werden, beispielsweise durch die Einbindung in ein spezifisches Projekt.
Unter Umständen kann es sogar sinnvoll sein, eine Arbeitnehmerüberlassung mit allen dazugehörigen formellen Anforderungen in Betracht zu ziehen. Insbesondere bedarf es dann einer Erlaubnis zur Überlassung von Arbeitnehmern nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG.
BAG: Einsatz von Headsets bei Primark – Mitbestimmung erforderlich
Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 16.07.2024 – 1 ABR 16/23
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied, dass die Einführung eines Headset-Systems bei Primark mitbestimmungspflichtig ist, wenn Vorgesetzte Gespräche mithören können, da dies eine technische Überwachungseinrichtung darstellt (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)). Obwohl das System weder Gespräche aufzeichnet noch die Geräte spezifischen Mitarbeitenden zugeordnet werden, sieht das BAG eine potenzielle Überwachung durch die Möglichkeit, Stimmen zu identifizieren. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats blieb dennoch erfolglos, da die Zuständigkeit beim Gesamtbetriebsrat liegt.
Verortung des Urteils
Kaum ein Mitbestimmungsrecht beschäftigt Unternehmen so sehr wie die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle bestimmt sind. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG sieht die Mitbestimmung des Betriebsrats vor, wenn eine technische Einrichtung als Überwachungsinstrument angesehen wird, das geeignet ist, das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern zu kontrollieren.
Zentraler Anknüpfungspunkt ist in der Praxis bereits die Definition der betreffenden technischen Überwachungseinrichtung. Eine technische Einrichtung ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmungspflichtig, wenn sie objektiv geeignet ist, das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern zu überwachen. Es kommt nicht darauf an, ob eine Überwachung tatsächlich stattfindet, sondern allein auf die potenzielle Möglichkeit, dass die Einrichtung dafür genutzt werden könnte.
Typischerweise fallen hierunter: biometrische Zugangskontrollen, Filmkameras, die in regelmäßigen Abständen Aufnahmen von Arbeitsplätzen machen, das Installieren von Fernsehmonitoren, das Fertigen von Tonbandaufnahmen oder Geräte zum Mithören von telefonischen Verkaufs- oder Kundengesprächen. Die Liste lässt sich noch unendlich fortsetzen. Eine technische Einrichtung ist in jedem optischen, mechanischen, akustischen oder elektronischen Gerät gegeben. Der Begriff wurde durch die Rechtsprechung sehr weit ausgelegt. In der Praxis führt dies zu Herausforderungen, die schwer zu bewältigen sind und zu einer erheblichen Verlangsamung von Prozessen führen.
Daher lohnt es sich, hier genauer hinzusehen.
Der Sachverhalt
Primark schloss mit dem Gesamtbetriebsrat eine Vereinbarung zur Einführung von Headsets für die interne Kommunikation in seinen Filialen. Das Headset-System wird zentral von der IT-Abteilung des Konzerns in Dublin über ein Internetportal verwaltet. Es überträgt verschiedene Daten, zeichnet jedoch weder Gespräche der Beschäftigten auf noch dokumentiert es, wer wann welches Headset nutzt. Im Standardmodus sind alle Mitarbeitenden einer Filiale in einer gemeinsamen „Conference“ verbunden, wobei Gespräche über eine Basisstation an alle Headset-Nutzer weitergeleitet werden.
Der Betriebsrat einer Filiale mit mehr als 200 Mitarbeitenden hielt die Einführung des Systems für mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Zudem vertrat der Betriebsrat die Auffassung, dass er – und nicht der Gesamtbetriebsrat – zuständig sei, da die Kommunikation ausschließlich innerhalb der Filiale stattfinde und nicht auf andere Standorte ausgeweitet werde.
Die Entscheidung
Die Unterlassungsanträge des Betriebsrats blieben – wie bereits in den Vorinstanzen – auch vor dem BAG erfolglos. Dennoch stellte das BAG fest, dass die Einführung des Headset-Systems gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmungspflichtig ist, da es sich um eine technische Überwachungseinrichtung handelt. Diese Einschätzung hatte bereits das Arbeitsgericht Dresden geteilt, während das Landesarbeitsgericht Sachsen dies abgelehnt hatte. Das LAG argumentierte, dass das System aufgrund der fehlenden Zuordnung der Geräte zu einzelnen Beschäftigten nicht zur Überwachung geeignet sei.
Das BAG bewertete das Headset-System als Überwachungseinrichtung, da es den Vorgesetzten in der Filiale ermöglicht, Gespräche der Beschäftigten jederzeit mitzuhören. Dies versetzt die Vorgesetzten in die Lage, das Verhalten aller Mitarbeitenden während einer Schicht fortlaufend zu kontrollieren, was einen permanenten Überwachungsdruck auf die Beschäftigten ausübt. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Headsets keiner bestimmten Person zugeordnet sind, da die Vorgesetzten die Sprechenden häufig anhand ihrer Stimmen identifizieren können.
Auch die Tatsache, dass Gespräche weder aufgezeichnet noch gespeichert werden, ist unerheblich. Es reicht aus, dass ein Teil des Überwachungsvorgangs durch die technische Einrichtung ermöglicht wird.
Dennoch scheiterte die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats, da das BAG entschied, dass nicht der örtliche Betriebsrat, sondern der Gesamtbetriebsrat für die Mitbestimmung zuständig ist.
Konsequenzen für die Praxis
- Unternehmen müssen sicherstellen, dass technische Systeme, die potenziell das Verhalten oder die Leistung der Mitarbeitenden überwachen können, vor ihrer Einführung mitbestimmt werden. Dies gilt selbst dann, wenn die Überwachung nur indirekt möglich ist, z. B. durch das Mithören von Gesprächen oder die Erkennung von Stimmen.
- Auf die richtige Zuständigkeit achten! Wenn ein technisches System konzernweit oder zentral administriert wird, wie im Fall des Headset-Systems von Primark, liegt die Zuständigkeit für die Mitbestimmung nicht beim örtlichen Betriebsrat, sondern beim Gesamtbetriebsrat. Unternehmen sollten frühzeitig klären, welches Gremium einzubinden ist, um Verzögerungen oder rechtliche Konflikte zu vermeiden.
Praxistipps
Die Einführung technischer Systeme sollte umfassend dokumentiert und transparent gestaltet werden. Dazu gehören eine klare Beschreibung der Funktionen, der potenziellen Überwachungsmöglichkeiten und der organisatorischen Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch.
Neben den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats müssen Unternehmen auch die Anforderungen des Beschäftigtendatenschutzes beachten. Selbst wenn keine Aufzeichnung oder Speicherung erfolgt, können durch die Möglichkeit des Mithörens personenbezogene Daten verarbeitet werden.
Unterrichtung des Betriebsrats bei Versetzung
Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen, Beschluss vom 08.05.2024, Az.: 2 TaBV 81/23
Der Betriebsrat muss bei einer geplanten Versetzung eines Arbeitnehmers über die damit verbundenen Konsequenzen informiert werden. Doch wie umfangreich muss diese Information ausfallen? Welche Details muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat zur Verfügung stellen, damit dieser eine fundierte Entscheidung treffen kann?
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat diese Fragen in seinem Beschluss vom 08.05.2024 (Az. 2 TaBV 81/23) geklärt.
Verortung des Urteils
Nach § 99 BetrVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Betriebsrat vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung oder Versetzung umfassend zu unterrichten und dessen Zustimmung einzuholen. Ziel dieser Regelung ist es, die Interessen der Belegschaft zu wahren und sicherzustellen, dass personelle Maßnahmen fair und transparent erfolgen.
Der Betriebsrat kann seine Zustimmung verweigern, wenn einer der Verweigerungsgründe nach § 99 Abs. 2 BetrVG vorliegt, etwa bei Verstößen gegen gesetzliche Vorschriften, Benachteiligungen von Arbeitnehmern oder dann, wenn die Maßnahme mit Nachteilen für andere Beschäftigte verbunden ist. Diese Mitbestimmungsrechte stärken die Kontrollfunktion des Betriebsrats und fördern die Transparenz bei unternehmerischen Entscheidungen, die die Belegschaft betreffen.
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 08.05.2024 (Az. 2 TaBV 81/23) greift diese grundlegenden Prinzipien auf und konkretisiert die Anforderungen an die Unterrichtung des Betriebsrats bei einer geplanten Versetzung. Es zeigt exemplarisch, welche Informationen der Arbeitgeber liefern muss, damit der Betriebsrat eine fundierte Entscheidung treffen kann. Gleichzeitig macht es deutlich, welche Risiken eine unzureichende oder unklare Information für den Arbeitgeber birgt.
Der Sachverhalt
Die Beteiligten streiten über die Versetzung eines Außendienstmitarbeiters auf eine neu geschaffene gleichwertige Position im Innendienst.
Die Arbeitgeberin hatte beschlossen, an einem ihrer Standorte eine neue Stelle für einen kaufmännischen Mitarbeiter im Backoffice einzurichten, und wollte den bisherigen Außendienstmitarbeiter auf diese Position versetzen. Bisher hatte der Außendienstmitarbeiter neben seinen vertraglichen Fixbezügen auch Provisionseinnahmen erzielt.
Um die Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 99 BetrVG einzuholen, informierte die Arbeitgeberin diesen über die gleichbleibenden Fixbezüge, unterließ jedoch Informationen darüber, wie die neue Tätigkeit im Innendienst die Provisionsregelung beeinflussen würde.
Der Betriebsrat widersprach der Versetzung und argumentierte, dass die Unterrichtung unvollständig gewesen sei und ihm wesentliche Informationen, wie etwa zur Provisionsregelung und Arbeitsplatzbeschreibung, fehlten. Die Arbeitgeberin beantragte daraufhin beim Arbeitsgericht Hannover, die Zustimmung des Betriebsrats zu ersetzen, da sie diesen für ordnungsgemäß informiert hielt. Das Arbeitsgericht entschied zugunsten der Arbeitgeberin, woraufhin der Betriebsrat Beschwerde einlegte.
Die Entscheidung

Die Beschwerde des Betriebsrats hatte vor dem LAG Erfolg. Nach Auffassung des LAG sei die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Versetzung des Arbeitnehmers nicht zu ersetzen.
Die Arbeitgeberin habe den Betriebsrat mit ihrem Zustimmungsersuchen nicht in ausreichendem Umfang über die beabsichtigte personelle Maßnahme unterrichtet. Nach dem LAG ist der Betriebsrat bei einer Anhörung zu einer Versetzung über deren konkrete Folgen zu unterrichten. Wenn der betroffene Arbeitnehmer trotz Weitergeltung der bisherigen Provisionsregelung aufgrund der veränderten Tätigkeit (Wechsel vom Außendienst in den Innendienst) keine Möglichkeit mehr besitzt, in unverändertem Umfang Provisionen zu erzielen, ist der Betriebsrat hierüber zu unterrichten. Daran fehlte es im vorliegenden Fall.
Die Arbeitgeberin hatte es unterlassen, den Betriebsrat darüber zu informieren, in welcher konkreten Höhe der Arbeitnehmer bisher Provisionen erhalten hatte und welche möglichen Nachteile ihm durch eine entfallende Provisionsmöglichkeit aufgrund des Innendienstes entstehen könnten. Zwar habe die Arbeitgeberin die fehlenden Informationen im Zustimmungsersetzungsverfahren noch nachgeholt, jedoch habe der Betriebsrat seine Zustimmung zur beabsichtigten Versetzung des Arbeitnehmers sodann zu Recht verweigert, da Nachteile im Sinne des § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG wegen des Wegfalls der Möglichkeiten zur Provisionserzielung bestehen würden.
Konsequenzen für die Praxis
- Im Rahmen von Zustimmungsersuchen zur Versetzung eines Arbeitnehmers muss der Betriebsrat nicht nur über den bisherigen und den neuen Arbeitsplatz, sondern auch über die konkreten Auswirkungen der Versetzung für den Arbeitnehmer umfassend informiert werden. Besonders wichtig sind dabei Angaben zu den finanziellen Konsequenzen der geplanten Maßnahme.
- Arbeitgeber sollten daher sicherstellen, dass sie den Informationsanspruch des Betriebsrats in vollem Umfang erfüllen. Andernfalls kann der Betriebsrat die Zustimmung zur Versetzung zu Recht verweigern.
Praxistipps
Wenn Informationen unvollständig oder unklar sind, kann der Betriebsrat die Zustimmung zur Versetzung rechtmäßig verweigern. Dies führt nicht nur zu Verzögerungen, sondern kann auch rechtliche Auseinandersetzungen nach sich ziehen. Arbeitgeber riskieren dadurch, dass sie die Zustimmung des Betriebsrats erst durch ein gerichtliches Verfahren ersetzen lassen müssen, was zeitaufwendig und kostspielig ist.
Arbeitgeber sollten bei der Planung von Versetzungen sicherstellen, dass sie alle relevanten Informationen zusammentragen und dem Betriebsrat vollständig zur Verfügung stellen.
Dazu gehören:
- Arbeitsplatzbeschreibungen (alt und neu),
- finanzielle Auswirkungen (Fixgehalt, variable Vergütung, Provisionsregelungen),
- organisatorische und rechtliche Rahmenbedingungen (z. B. Arbeitszeit, Arbeitsort, Aufgabenveränderungen),
- mögliche Änderungen der Arbeitsbedingungen.