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BAG: Keine Umgehung der AGB-Kontrolle durch Vereinbarung ausländischen Rechts : Bundesarbeitsgericht (BAG) vom 23.01.2024 - 9 AZR 115/23

Lesezeit 4 Min.
Im Vordergrund ruht ein Holzhammer auf einem Tonblock, daneben die goldene Waage der Gerechtigkeit, die in AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht Fairness symbolisiert. Im Hintergrund liegt ein offenes Buch in weicher Darstellung, beleuchtet von warmem Sonnenlicht, das durch ein Fenster fällt.
Foto: @ stock.adobe.com/Ilham

Unterliegt ein Arbeitsverhältnis grundsätzlich deutschem Recht, sind sämtliche arbeitsvertraglichen Klauseln auch der sogenannten AGB-Kontrolle zu unterziehen. Dies gilt auch dann, wenn im Arbeitsvertrag eine andere Rechtsordnung mit einer Rechtswahlklausel vereinbart wurde. Die Bestimmungen der §§ 305ff. BGB sind Rechtsnormen iSd Art. 8 I 2 Rom I-VO, da sie zwingendes Recht enthalten, das – auch – dem Schutz des Arbeitnehmers dient und die durch die Ausübung einer Rechtswahl nicht „abgewählt“ werden können. 

Verortung des Urteils 

In dem Fall geht es um zwei sehr praxisrelevante Themen: 

  • Frage nach dem anwendbaren Recht 
  • Wirksamkeit von Rückzahlungsklauseln 

Das Thema Wirksamkeit von Rückzahlungsklauseln wird nachfolgend ausgeklammert. Was hat es nun aber mit der Frage nach dem anwendbaren Recht auf sich? 

Die Rechtswahl im Arbeitsvertrag wird gern von Unternehmen mit ausländischem (Konzern-) Sitz ausgeübt oder bei Arbeitsverhältnissen, die eine grenzüberschreitende Komponente haben. Spätestens bei Ausscheiden des Arbeitnehmers kann das aber zu Problemen führen, weil sich im Streitfall beide Parteien auf die vermeintlich „bessere“ Rechtsordnung berufen.  

In dieser Situation muss wie folgt geprüft werden: 

  1. Welches Recht findet (ohne die Rechtswahlklausel) Anwendung? 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Rom I-VO richtet sich dies zunächst nach dem gewöhnlichen Erfüllungsort. Ist es nicht eindeutig, gilt das Recht des Staats, in dem die einstellende Niederlassung liegt – aber nur, wenn sich nicht aus den Gesamtumständen etwas anderes ergibt. 

In den meisten Fällen wird das Recht des Arbeitsorts oder der Sitz des Arbeitgebers anwendbar sein. In der Konstellation eines internationalen Konzern, der Verträge für Mitarbeiter in Deutschland gestaltet, ist dies Deutschland.  

  1. Was ist zwingendes Recht, von dem nicht abgewichen werden darf?  

Weiter ist zu prüfen, ob nach der unter i. herausgearbeiteten Rechtsordnung Rechte betroffen sind, auf die nicht verzichtet werden darf – d.h. die durch eine Rechtswahl zu Gunsten des ausländischen Rechts nicht abgewählt werden können. Dies war auch in der hier dargestellten BAG Entscheidung der springende Punkt. 

Ob es sich bei den betroffenen Rechten um zwingendes Recht handelt, entscheidet das BAG jeweils im Einzelfall: Bejaht wurde dies bereits z.B. für Verjährungsregelungen, Verfahren der Massenentlassung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Befristungsregelungen und bestimmte Vorschriften der Arbeitnehmerüberlassung.  

  1. Was aber, wenn deswegen zwei widersprüchliche Regelungen gelten?  

Schwierig wird es, wenn nach dem deutschen (siehe i.) und dem ausländischen (gewählten) Recht zwei widersprüchliche Regelungen Anwendung finden. In diesem Fall ist ein „Günstigkeitsvergleich“ anzustellen. Welche Rechtsordnung „besser“ ist, ist häufig gar nicht einfach zu bestimmen.  

Bereits das vorbeschriebene Szenario verdeutlicht, warum in den meisten Fällen davon abzuraten ist, dass bei einem innerdeutschen Sachverhalt eine Rechtswahl zu Gunsten eines ausländischen Rechts gewählt wird. 

Der Sachverhalt  

Im Kern streiten die Parteien darüber, ob der Beklagte (Fluggesellschaft mit Sitz in Dublin) gegen den Kläger (Flugkapitän) eine Forderung auf Rückzahlung von Schulungskosten zusteht, mit der sie gegen die Entgeltforderungen des Klägers hat aufrechnen können. 

Nach den Gegebenheiten unterlag das Arbeitsverhältnis der Parteien deutschem Recht. Im Arbeitsvertrag war allerdings die Anwendung von irischem Recht vereinbart. Der Vertrag enthielt weiter eine Klausel, wonach der Kläger bestimmte vom Arbeitgeber gezahlte Schulungskosten zurückzuzahlen hatte, wenn er selbst das Arbeitsverhältnis kündige.  

Es kam, wie es kommen musste: Der Kläger absolvierte eine teure Schulung und kündigte sodann. In der Folge stritten die Parteien darüber, ob der Kläger diese Kosten zu erstatten habe. Dieser argumentierte dabei, dass deutsches Recht Anwendung finde, nach dem die Rückzahlungsklausel unwirksam sei.  

Die Entscheidung  

Das BAG folgt dieser Argumentation und lehnte die Aufrechnung ab: Die Vereinbarung über die Erstattung von Schulungskosten sei unwirksam (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB).  

Die Rückzahlungsklausel unterliege der deutschen AGB-Kontrolle, obwohl der Arbeitsvertrag ausdrücklich irischem Recht unterliegen sollte. Ohne diese Rechtswahl wäre nach den Gegebenheiten deutsches Recht anzuwenden. Weichen die grundsätzlich anwendbare und die gewählte Rechtsordnung voneinander ab, dürfen zwingende Vorschriften des grundsätzlich anwendbaren Rechts nicht umgangen werden (Artikel 8 Abs. 1 Satz 2 Rom-I-Verordnung). Die Vorschriften der AGB-Kontrolle, durch die auch arbeitsvertragliche Klauseln insbesondere auf Verständlichkeit und „Fairness“ überprüft werden, sind solch zwingendes Recht. D.h. die Bestimmungen der §§ 305ff  BGB sind Rechtsnormen iSd Art. 8 I 2 Rom I-VO, da sie zwingendes Recht enthalten, das – auch – dem Schutz des Arbeitnehmers dient. 

#KurzErklärt 

  • Da die Rückzahlungsklausel nach deutschem Recht unwirksam war, hatte die Klage des Flugkapitäns letztlich Erfolg. 
  • Die wirksame Formulierung einer Rückzahlungsklausel ist mit Sicherheit eine besonders schwierige Herausforderung und erfordert eine genaue Kenntnis der aktuellen Rechtsprechung. In der Praxis dürfte die Vielzahl der Rückzahlungsklauseln unwirksam sein. 

Praxistipp 

Rechtwahlklauslen sind nicht geeignet eine nach deutschem Recht unwirksame Regelungen über die „Hintertür“ einzuführen bzw. die deutsche AGB-Kontrolle zu umgehen. In den meisten Fällen bringen Rechtswahlklauseln keine Freude. Häufig führt eine Rechtswahlklausel zu einer Art „Rosinenpickerei“, bei der sich jede Partei jeweils die günstigeren Vorschriften aus beiden Rechtsordnungen zusammensucht. Mindestens aber führt dies zu einer erhöhten Komplexität bei Streitigkeiten, die wie so häufig zu „Lästigkeitskosten“ in Form teurer Vergleiche führt.