Begriff Betriebsstätte knüpft nicht an Begriff der ersten Tätigkeitsstätte an
Ist der Begriff der Betriebsstätte im Rahmen der Geltendmachung von Reisekosten nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG eigenständig auszulegen oder leitet er sich aus dem Begriff der ersten Tätigkeitsstätte ab, der mit der ab 2014 geltenden Reisekostenreform für Arbeitnehmerfälle eingeführt worden ist?

Die Richter des Finanzgerichtes Rheinland-Pfalz haben mit Urteil vom 19.06.2024 (1 K 1219/21) diese Frage entschieden.
Sachverhalt und Hintergrund des Falls
Der Kläger war selbstständiger IT-Berater und in den Jahren 2016 bis 2018 fast ausschließlich für eine einzige Firma tätig, deren Sitz er an 4 Tagen pro Woche aufsuchte. Sein Beratervertrag war zunächst nur für 3 Monate geschlossen worden. In der Folgezeit aber immer wieder um jeweils 2, 4 und 8 Monate und schließlich um ein Jahr verlängert worden. Aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit richtete er sich eine Zweitwohnung im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung ein.
Streitpunkt in der Betriebsprüfung
Im Zuge einer Betriebsprüfung vertrat der Kläger die Auffassung, dass sein Einsatzort (der Firmensitz seines Kunden) keine Betriebsstätte im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG war, sodass seine Betriebsausgaben für Familienheimfahrten ohne Beschränkung abziehbar seien und seine Verpflegungsmehraufwendungen auch nach Ablauf der 3-Monats-Frist noch anerkannt werden müssten.
Dies erkannte das Finanzamt nicht an.
Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz
Die Richter des Finanzgerichtes Rheinland -Pfalz gaben dem Finanzamt Recht. Sie entschieden, dass der Kläger an einer Betriebsstätte im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG tätig geworden ist. Demnach war der beschränkte Abzug von Familienheimfahrten und Verpflegungsmehraufwendungen rechtmäßig.
Berücksichtigung der BFH-Rechtsprechung
Die Richter beriefen sich auf die aktuelle BFH-Rechtsprechung, die zur Rechtslage vor der Reisekostenreform ab dem Veranlagungszeitraum 2014 ergangenen war. Danach ist unter einer Betriebsstätte für Zwecke der Ermittlung der nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben im Zusammenhang mit Fahrtkosten derjenige Ort zu verstehen, an dem oder von dem aus die beruflichen oder gewerblichen Leistungen erbracht werden, die den steuerbaren Einkünften zugrunde liegen. Eine abgrenzbare Fläche oder Räumlichkeit und eine hierauf bezogene eigene Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen über die erforderliche ortsfeste betriebliche Einrichtung ist nicht erforderlich. Bei einem im Wege eines Dienstvertrags tätigen Unternehmers, der nicht über eine eigene Betriebsstätte verfügt, ist als Betriebsstätte daher der Ort anzusehen, an dem er die geschuldete Leistung zu erbringen hat. Dies ist nach Auffassung der Richter in der Regel der Betrieb des Auftraggebers.
Auswirkungen der Reisekostenreform auf den Betriebsstättenbegriff
Nach Auffassung der Richter des Finanzgerichtes ist diese normspezifische Auslegung des Betriebsstättenbegriffs auch nach dem Inkrafttreten der Reisekostenreform ab VZ 2014 weiterhin anzuwenden. Nach der Gesetzesbegründung bezieht sich die Reform ausschließlich auf Arbeitnehmerfälle. Dass der damals neu eingeführte Begriff der ersten Tätigkeitsstätte, der maßgeblich an das Direktionsrecht des Arbeitgebers anknüpft, auch für den Betriebsstättenbegriff bei Gewerbetreibenden bedeutsam sein sollte, lässt sich der Begründung nicht entnehmen.
Praxishinweis: |
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Gegen das Urteil wurde Revision erhoben. Diese ist anhängig beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen VIII R 15/24. In vergleichbaren Sachverhalten sollte Einspruch erhoben werden, um die gerichtliche Klärung abzuwarten und das Ruhen des Verfahrens beantragt werden. |
FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.06.2024 – 1 K 1219/21
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