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Digitalisierung in der Entgeltabrechnung – schwieriger als gedacht!

Das Bundesarbeitsgericht stellte klar: Digitale Gehaltsabrechnungen genügen den gesetzlichen Anforderungen, sofern sie dauerhaft zugänglich und inhaltlich korrekt bleiben. Ein Arbeitnehmer hat demnach keinen Anspruch auf die Papierform, auch wenn er diese bevorzugt.

Lesezeit 3 Min.
Ein Taschenrechner, ein Laptop und ein Stift liegen auf Gehaltsabrechnungen und Diagrammen. Überlagerte Symbole stehen für Datenanalyse, Dokumentenprüfung und rechtliche Angelegenheiten. Im Mittelpunkt steht deutlich das Wort „ENTGELTABRECHNUNG“.
Foto: © adobe.stock.com/relif

BSG, Urteil vom 19.09.2024 – B 12 6/22 R

Verortung des Urteils

Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt. Unternehmen setzen verstärkt auf moderne Technologien. Arbeitsdokumente werden zunehmend elektronisch übermittelt. Dabei stellen sich neue rechtliche Fragen: Unter welchen Voraussetzungen gelten digitale Zustellungen als rechtswirksam? Welche Anforderungen müssen an geeignete Empfangsvorrichtungen gestellt werden? Diese Fragen berühren zentrale arbeitsrechtliche Prinzipien. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen sich an veränderte Kommunikationswege anpassen. Eine differenzierte rechtliche Betrachtung ist notwendig, um Innovation und Schutz der Arbeitnehmerrechte in Einklang zu bringen.

 

Der Sachverhalt

  • Ein Lebensmitteldiscounter – bei dem die Klägerin als Verkäuferin arbeitete – schloss eine Konzernbetriebsvereinbarung mit dem Konzernbetriebsrat ab. Die Vereinbarung führte ein digitales Mitarbeiterpostfach ein. Ein externer Anbieter stellte fortan alle Personaldokumente, einschließlich der Entgeltabrechnungen, ausschließlich digital bereit. Die Arbeitnehmer konnten ihre Unterlagen direkt im Postfach einsehen und abrufen. Zuvor erhielt man die Entgeltabrechnungen zuletzt Anfang 2022 in Papierform.
  • Die Klägerin lehnte die Umstellung ab. Sie forderte die Arbeitgeberin auf, die Abrechnungen nicht mehr ausschließlich digital zu erteilen. Schließlich reichte sie Klage ein und verlangte, dass die monatlichen Abrechnungen erneut in Papierform ausgestellt werden. Ihr Einverständnis zur digitalen Bereitstellung lag nicht vor – und die Betriebsvereinbarung konnte dieses Versäumnis nicht ersetzen.
  • Die Arbeitgeberin vertrat eine andere Meinung. Sie argumentierte, dass die elektronischen Abrechnungen der Klägerin durch die Cloud-gestützte Übermittlung in ihr Postfach zugegangen seien. Eine ausdrückliche Zustimmung sei dafür nicht erforderlich. Die elektronische Übermittlung sei zumutbar, schließlich hatte die Klägerin bereits digital kommuniziert, als sie der Nutzung des Mitarbeiterpostfachs widersprach.
  • Die Vorinstanzen urteilten uneinheitlich. Das Arbeitsgericht Braunschweig wies die Klage ab und unterstützte die Arbeitgeberin. Im Berufungsverfahren hob das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (Urteil vom 16. Januar 2024, Az. 9 Sa 575/23) diese Entscheidung auf und verurteilte die Arbeitgeberin zur Neu-Erteilung der Abrechnungen. Zwar erlaube § 108 Abs. 1 GewO die Erteilung von Entgeltabrechnungen in Textform – etwa per E-Mail –, doch gingen die Abrechnungen der Klägerin nicht wirksam zu. Ein digitales Mitarbeiterpostfach gilt nur als geeignete Empfangsvorrichtung, wenn der jeweilige Mitarbeiter dessen Nutzung ausdrücklich zugestimmt hat. Mangels dieses Einverständnisses blieb die Voraussetzung unerfüllt.

 

Die Entscheidung

  • Das wiederum sah das BAG anders: Das Gericht stellte zunächst klar, dass die Erteilung von Entgeltabrechnungen durch deren Einstellung in ein digitales Mitarbeiterpostfach die von § 108 Abs. 1 GewO vorgeschriebene Textform wahrt. Im Übrigen stufte das BAG den Anspruch des Arbeitnehmers auf die Abrechnung seiner Vergütung als sog. Holschuld ein. Bei einer solchen Holschuld (anders als bei einer Bring- oder Schickschuld) sei jedoch nicht der Arbeitgeber für den Zugang beim Arbeitnehmer verantwortlich, es genüge vielmehr, dass er die Abrechnung „an einer elektronischen Ausgabestelle bereitstelle“, wobei er lediglich den berechtigten Interessen derjenigen Beschäftigten Rechnung tragen müsse, die nicht über einen privaten Online-Zugriff verfügen. Die in der Betriebsvereinbarung geregelte digitale Zurverfügungstellung der Abrechnungen greife jedenfalls nicht unverhältnismäßig in die Rechte der betroffenen Beschäftigten ein.
  • Eine endgültige Entscheidung über die Klage traf das BAG dennoch nicht, sondern verwies den Streit zurück an das LAG Niedersachsen, da noch zu klären sei, ob die Einführung und der Betrieb des Mitarbeiterpostfachs überhaupt in die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats gefallen seien.

 

Konsequenzen für die Praxis

Digitale Mitarbeiterpostfächer und deren Nutzung auch für die Bereitstellung von Entgeltabrechnungen sind mittlerweile verbreitet und üblich, eine unzumutbare Beeinträchtigung der Arbeitnehmer ist damit nicht verbunden. Einer individuellen Zustimmung der Arbeitnehmer bedarf es nicht, die Entgeltabrechnungen können auch ohne explizites Einverständnis wirksam auf diesem Wege erteilt werden. Insoweit schafft die Entscheidung begrüßenswerterweise Klarheit und Rechtssicherheit für die betriebliche Praxis.

 

Praxistipps

Praxistipps
Elektronische Entgeltabrechnungen sind rechtlich zulässig und stellen eine zeitgemäße Alternative zur Papierform dar. Arbeitgeber sollten die Entscheidung nutzen, um ihre Prozesse zu modernisieren, dabei aber stets die Zugänglichkeit und Nutzerfreundlichkeit im Blick behalten. Arbeitnehmer haben keinen Anspruch auf eine Papierabrechnung, dürfen jedoch erwarten, dass die digitale Alternative verlässlich und leicht zugänglich ist.