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Sonderkündigungsrecht für schwangere Arbeitnehmerin

Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass eine verspätete Kündigungsschutzklage zulässig sein kann, wenn eine Arbeitnehmerin erst später von ihrer Schwangerschaft erfährt und diese ärztlich bestätigt wird.

AllgemeinArbeitsrecht
Lesezeit 2 Min.
Schwangere Arbeitnehmerin mit Paragraphenzeichen als Symbol für das Sonderkündigungsrecht für schwangere Arbeitnehmerinnen.
Foto: © stock.adobe.com/AI-Universe

Sonderkündigungsrecht für schwangere Arbeitnehmerinnen nach Fristablauf

Erlangt eine Arbeitnehmerin erst nach Ablauf der regulären Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG schuldlos Kenntnis von einer bei Zugang des Kündigungsschreibens bereits bestehenden Schwangerschaft, so kann eine verspätete Kündigungsschutzklage auf ihren Antrag gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zugelassen werden.

Fallbeispiel: Kündigung und spätere Kenntnis der Schwangerschaft

Im zugrunde liegenden Fall war die Klägerin bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch eine ordentliche Kündigung der Beklagten zum 30.06.2022 beendet. Das Kündigungsschreiben ging der Klägerin am 14.05.2022 zu. Am 29.05.2022 führte sie einen Schwangerschaftstest durch, der positiv ausfiel. Sie bemühte sich sofort um einen Termin beim Frauenarzt, erhielt diesen aber erst für den 17.06.2022. Am 13.06.2022 erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage und beantragte zugleich deren nachträgliche Zulassung. Ein ärztliches Attest vom 21.06.2022 bestätigte eine Schwangerschaft in der achten Woche, wobei der Mutterpass als voraussichtlichen Geburtstermin den 02.02.2023 auswies. Daraus ergab sich rückgerechnet ein Schwangerschaftsbeginn am 28.04.2022, also vor Zugang der Kündigung.

Streitpunkt: Zeitpunkt der sicheren Kenntnis und Fristversäumnis

Die Klägerin machte geltend, sie habe erst mit der ärztlichen Untersuchung am 17.06.2022 sichere Kenntnis von ihrer Schwangerschaft erlangt. Der positive Test vom 29.05.2022 sei kein ausreichender Nachweis im Sinne der Rechtsprechung. Die Beklagte hingegen argumentierte, die Klägerin habe noch innerhalb der Dreiwochenfrist Kenntnis gehabt und könne sich daher nicht auf § 5 KSchG berufen. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur verspäteten Klage

Die Revision der Beklagten vor dem Bundesarbeitsgericht blieb erfolglos. Der Zweite Senat stellte klar, dass die Kündigung gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG unwirksam war. Zwar hatte die Klägerin die Klage nicht innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG erhoben, die am 07.06.2022 endete. Diese Frist begann mit dem Zugang der Kündigung am 14.05.2022 zu laufen. § 4 Satz 4 KSchG kam hier nicht zur Anwendung, da die Beklagte keine Kenntnis von der Schwangerschaft hatte.

Gleichwohl war die verspätete Klage gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Klägerin hatte die maßgebliche Kenntnis von der bereits zum Kündigungszeitpunkt bestehenden Schwangerschaft erst mit dem frauenärztlichen Befund vom 17.06.2022 erhalten. Der vorherige Selbsttest vom 29.05.2022 war dafür nicht ausreichend. Die Klageerhebung am 13.06.2022 – noch vor der ärztlichen Bestätigung – genügte somit den Anforderungen des § 5 KSchG. Das Bundesarbeitsgericht stellte außerdem klar, dass diese Auslegung auch mit den europarechtlichen Vorgaben der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG in Einklang steht, wie sie vom Europäischen Gerichtshof im Urteil „Haus Jacobus“ (EuGH, 27.06.2024 – C-284/23) konkretisiert wurden.

Praxishinweis

Praxishinweis:
Erlangt eine Arbeitnehmerin erst nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist Kenntnis von einer bei Zugang der Kündigung bereits bestehenden Schwangerschaft, sollte sie umgehend einen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nach § 5 KSchG stellen. Ein positiver Schwangerschaftstest allein reicht für die sichere Kenntnis nicht aus – maßgeblich ist die ärztliche Bestätigung. Arbeitgeber sollten beachten, dass auch verspätet erhobene Klagen wirksam sein können, wenn die Schwangerschaft nachweislich bereits zum Kündigungszeitpunkt bestand.

BAG, Urteil vom 03.04.2025 – 2 AZR 156/24

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