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Prüfung Jahresarbeitsentgeltgrenze : Im Blick: Arbeitsrecht

Lesezeit 13 Min.

Verjährung von Urlaubsansprüchen: Hinweis des Arbeitgebers entscheidend

Bundesarbeitsgericht (BAG), Entscheidung vom 20.12.2022 – 9 AZR 266/20

Bereits im Jahr 2018 wurde durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass gesetzliche Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer ohne rechtzeitigen Hinweis der Arbeitgeber nicht zum Jahresende verfallen. Um jedoch eine jahrelange Ansammlung von Urlaubsansprüchen bei verpassten Hinweisen zu vermeiden, konnten Arbeitgeber bisher mit der sogenannten Einrede der Verjährung größeres Unheil vermeiden. Nun hat das BAG die Vorgaben des EuGH aufgrund der Vorabentscheidung vom 22.09.2022 (C-120/21) umgesetzt und entschieden, dass auch die Verjährung, als letzter Rettungsanker, nicht mehr weiterhilft, wenn Arbeitgeber ihrer Aufforderungs- und Hinweisobliegenheit nicht nachgekommen sind.

Mit der Entscheidung des BAG könnte für Arbeitgeber ein erhebliches finanzielles Risiko einhergehen: Denn es hat entschieden, dass Ansprüche auf Urlaub nur verjähren, wenn Arbeitgeber vorher ihre Mitarbeiter darauf hingewiesen haben, dass ihnen Urlaub zusteht, der bei fehlender Inanspruchnahme verfällt. Tun sie das nicht, können sie sich auf die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren nicht berufen.

Verortung des Urteils

Fragen über den Verfall und die Verjährung von Urlaubsansprüchen sind seit jeher Gegenstand arbeitsgerichtlicher Streitigkeiten. Erst im September 2022 urteilte der EuGH in zwei Vorabentscheidungsverfahren zur Verjährung von Urlaubsansprüchen und zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei (lang andauernder) Erkrankung und Erwerbsminderung.

Eine Rechtsprechungsänderung zu der bisherigen Praxis zum Verfall von Urlaubsansprüchen erfolgte durch den EuGH bereits 2009 mit der Entscheidung zu den Rechtssachen (Rs.) C-350/06 und C520/06. Hier stellte der EuGH fest, dass ein Urlaubsanspruch nur dann verfallen kann, wenn der Arbeitnehmer auch tatsächlich die Möglichkeit hatte, ihn zu nehmen.

In einem weiteren Urteil vom 06.11.2018 (Rs. C-684/16) stellte der EuGH dann die generellen Regeln zur Hinweispflicht des Arbeitgebers auf den Verfall von Urlaubsansprüchen auf. Das BAG folgte im Jahr 2019 mit seinem Grundsatzurteil (Urteil vom 19.02.2019 – 9 AZR 541/15) dem EuGH. Seitdem müssen Arbeitgeber jeden ihrer Mitarbeiter konkret und individuell auf den Verfall von Urlaub hinweisen, wenn er entsprechend den Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG, § 7 Abs. 3) zum Ende des Übertragungszeitraums verfallen soll.

Dies ging dem EuGH jedoch nicht weit genug – in seiner Entscheidung vom 22.09.2022 (Rs. C-120/21) hat er sich auch zum Thema Verjährung von Urlaubsansprüchen geäußert. Die aktuelle Entscheidung des BAG schließt sich dem EuGH nun an.

Der Sachverhalt

Eine Steuerfachangestellte verklagte ihren Arbeitgeber auf Abgeltung von 101 (!) Urlaubstagen. Sie war über 20 Jahre beschäftigt gewesen und konnte ihren Urlaub in vielen Jahren nicht vollständig nehmen. Die Geltendmachung betrug auch Jahre vor 2017. Der Arbeitgeber hatte die Arbeitnehmerin während des gesamten laufenden Arbeitsverhältnisses nicht aufgefordert, Urlaub zu nehmen. Ebenso wenig hatte er darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub verfallen werde. Im gerichtlichen Verfahren berief sich der Arbeitgeber sowohl auf den Verfall als auch auf die (teilweise) Verjährung von Urlaubsansprüchen aus vorangegangenen Jahren.

Das erstinstanzliche Arbeitsgericht Solingen wies die Klage insoweit ab, als dass sie Ansprüche betraf, die vor 2017 und damit außerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist lagen. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hob diese Entscheidung auf (Urteil vom 21.02.2020 – 10 Sa 180/19) und sprach der Klägerin die eingeklagte Summe in Höhe von gut 17.000 Euro voll zu. Das daraufhin angerufene Bundesarbeitsgericht legte den Fall dem EuGH vor. Er sollte die Frage prüfen, ob die nationale Verjährungsfrist im Urlaubsrecht unionsrechtskonform anwendbar ist und die Geltendmachung von Urlaubsabgeltungsansprüchen hindern kann.

Der EuGH hat die Rechtsansicht der Klägerin im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens bestätigt (EuGH, Urteil vom 22.09.2022 – C-120/21). Die Verjährungsfrist beginnt nur dann, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt hat.

Die Entscheidung

Auch das BAG hat nun entschieden, dass die Ansprüche weder am Ende des Kalenderjahres verfallen sind, noch konnte der Arbeitgeber erfolgreich einwenden, dass der nicht gewährte Urlaub während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren bereits verjährt ist.

Zwar stellt das BAG klar, dass die Vorschriften über die Verjährung auf den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich Anwendung finden, jedoch beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren bei richtlinienkonformer Auslegung des § 199 Abs. 1 Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) nicht zwangsläufig mit Ende des jeweiligen Urlaubsjahres, sondern erst mit Ende des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt hat. Sofern dies nicht geschehen ist, kann eine Verjährung nicht eingewandt werden. Insbesondere stellt das BAG klar, dass auch nicht aus Rechtssicherheitsgründen anders zu entscheiden sei, da der Arbeitgeber es selbst in der Hand habe, die Verjährungsfrist durch das Nachholen der entsprechenden Hinweise in Gang zu setzen und so für Rechtssicherheit zu sorgen.

Kurz erklärt

  • Das BAG hat sich damit der Entscheidung des EuGH angeschlossen und entschieden, dass auch die sogenannte Einrede der Verjährung, als letzter Rettungsanker, nicht mehr weiterhilft, wenn Arbeitgeber ihrer Hinweisobliegenheit nicht nachgekommen sind. Damit laufen Arbeitgeber nun Gefahr, dass sie einer jahrelangen Ansammlung von Urlaubsansprüchen gegenüberstehen.
  • Arbeitgeber trifft weiterhin die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Sie müssen proaktiv agieren und die Beschäftigten in die Lage versetzen, den Jahresurlaub zu nehmen. Sehen sie tatenlos zu, kann Resturlaub Jahre später noch genommen werden oder muss bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber sogar ausbezahlt werden.
  • Das Unterlassen des rechtlich gebotenen Hinweises auf den Verfall von Urlaubsansprüchen ist finanziell damit nun noch viel riskanter. Die Entscheidung des BAG zeigt weitreichendere Konsequenzen als bisher auf, wenn dieser Hinweis unterbleibt. Versäumen es Arbeitgeber, die Mitarbeitenden auf den Verfall der Ansprüche hinzuweisen, so müssen sie noch Jahrzehnte später mit einer Geltendmachung der Ansprüche durch (ehemalige) Arbeitnehmer oder ggf. deren Erben rechnen. Der Rettungsanker Verjährung fällt weg.
  • Ganz besonders ist auf eine ausreichende Dokumentation des Hinweises zu achten. Denn der Arbeitgeber trägt die Beweislast dafür, dass er den Arbeitnehmer auf den Verfall hingewiesen hat. Der Arbeitnehmer hingegen kann zunächst durch schlichten Beweis, dass das Arbeitsverhältnis tatsächlich bestand, nachweisen, dass er einen Anspruch hat.

Praxistipp

Wenn Arbeitgeber verhindern wollen, dass Urlaubsansprüche auf das neue Jahr übertragen und schlimmstenfalls über Jahre hinweg angesammelt werden, sollten sie spätestens nach dieser Entscheidung Standardprozesse zur Erfüllung ihrer Hinweis- und Aufforderungsobliegenheit einführen. Konkret heißt das, dass Arbeitgeber im laufenden Arbeitsverhältnis regelmäßig an den verbleibenden Urlaubsanspruch erinnern sollten. Sie sollten ihre Mitarbeiter zeitig auffordern, (Rest-)Urlaub zu nehmen, und explizit mitteilen, dass der Urlaub, wenn nicht beantragt, mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt.

Im Blick Arbeitsrecht-min
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Annahmeverzugslohn nach Kündigung – erfreuliche Entscheidung für Arbeitgeber

Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg, Entscheidung vom 30.09.2022 – 6 Sa 280/22

Annahmeverzugslohn – oftmals das größte Risiko im Kündigungsprozess für Arbeitgeber. Sollte sich nämlich herausstellen, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht, so hat der Arbeitnehmer für den Zeitraum der Nichtbeschäftigung (ab dem vermeintlichen Beendigungsdatum) einen Anspruch auf Entgeltzahlung nach § 615 S. 1 BGB. Dies kann teuer werden.

Verortung des Urteils

In dem entschiedenen Urteil geht es um die Frage der Anrechnung. Nach § 615 S. 2 BGB muss der Arbeitnehmer sich auf den Annahmeverzugslohn anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Arbeit erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt, sog. Zwischenverdienst, oder zu erwerben böswillig unterlässt. Zweck der Vorschrift ist, dass der Arbeitnehmer durch die Regelung des Annahmeverzugslohns keinen Vorteil erzielen soll. Der Anspruch auf Annahmeverzugslohn wird daher automatisch gekürzt, wenn die Voraussetzungen vorliegen.

In § 11 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) findet sich eine ähnliche Regelung, die als Sonderregelung den § 615 S. 2 BGB verdrängt. Diese Regelung spielt in dem entschiedenen Fall die relevante Rolle.

Der Sachverhalt

Die Arbeitgeberin hat gegenüber einem Arbeitnehmer mehrere unwirksame Kündigungen ausgesprochen. Im Anschluss forderte der Arbeitnehmer für den Zeitraum von Mai 2017 bis einschließlich April 2021 Annahmeverzugslohnansprüche.

Die Arbeitgeberin lehnte dies unter Hinweis auf § 11 Nr. 2 KSchG ab. Sie vertrat die Auffassung, dass der Arbeitnehmer in den streitigen Zeiträumen einer anderweitigen Beschäftigung hätte nachgehen können. Er habe im Hinblick auf die Vermittlungsangebote keine hinreichenden Bewerbungsbemühungen angestellt und es daher böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen.

Die Entscheidung

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht gaben der Arbeitgeberin recht. Der Arbeitnehmer musste auf einen Auskunftsanspruch der Arbeitgeberin hin die einzelnen Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit offenlegen.

Es stellte sich heraus, dass die Anzahl der Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers zu beanstanden gewesen war, da dieser im Zeitraum von 29 Monaten lediglich 103 Bewerbungen geschrieben hatte, was rechnerisch nicht einmal einer Bewerbung pro Woche entsprach. Der Arbeitnehmer war im fraglichen Zeitraum ohne Arbeit und hätte also im zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle Bewerbungsbemühungen entfalten können und müssen, so das LAG. Auch sei nach den Feststellungen des LAG die Qualität der Bewerbungen zu beanstanden gewesen, was ein weiteres Indiz für die böswillige Unterlassung der An nahme einer dem Arbeitnehmer zumutbaren Arbeit gemäß § 11 Nr. 2 KSchG sei. Der Arbeitnehmer ging damit leer aus.

Im Blick Arbeitsrecht 2-min
Im Blick Arbeitsrecht 2-min

Kurz erklärt

  • Die Entscheidung hat eine große Praxisrelevanz. Arbeitnehmer, die sich nach einer Kündigung durch ihren Arbeitgeber bei der Agentur für Arbeit arbeitslos melden, zeigen oft wenig Bemühungen um eine neue Erwerbsmöglichkeit. Stattdessen werden bisher häufig nur Annahmeverzugslohnansprüche geltend gemacht. Wird dann rechtskräftig die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt, drohen Arbeitgebern oftmals erhebliche Annahmeverzugslohnansprüchen. Dies wird bislang häufig im Rahmen von Vergleichsverhandlungen genutzt, um hohe Abfindungen herauszuholen.
  • § 11 Nr. 2 KSchG sieht jedoch vor, dass sich der Arbeitnehmer auf seinen Annahmeverzugslohnanspruch dasjenige anrechnen lassen muss, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. In der Regel unterbreitet die Agentur für Arbeit dem betroffenen Arbeitnehmer Vermittlungsangebote. Stellt der Arbeitnehmer dann keine oder nur unzureichende Bewerbungsbemühungen an, kann dies im Einzelfall den Einwand des böswilligen Unterlassens nach § 11 Nr. 2 KSchG rechtfertigen und den Annahmeverzugslohnanspruch reduzieren.
  • Der Arbeitgeber muss jedoch erst einmal Kenntnis über die Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit haben. Hier hat das BAG (Urteil vom 27.05.2020 – 5 AZR 387/19) einen entsprechenden Auskunftsanspruch zugebilligt. Dieser Auskunftsanspruch des Arbeitgebers erstreckt sich auf die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters unter Nennung der Tätigkeit, der Arbeitszeit, des Arbeitsorts und der Vergütung, damit der Arbeitgeber in der Lage ist, Indizien für die Zumutbarkeit der Arbeit und eine mögliche Böswilligkeit des Unterlassens anderweitigen Erwerbs vorzutragen. Im Anschluss kann der Arbeitgeber – je nach Sachlage – seinen Einwand nach § 11 Nr. 2 KSchG anhand der Vermittlungsangebote untermauern. Dann liegt es in der Verantwortung des Arbeitnehmers, im Wege abgestufter Darlegungs- und Beweislast auszuführen, weshalb es nicht zu einem Vertragsschluss gekommen ist bzw. ein solcher unzumutbar gewesen wäre.
  • Das Gericht nimmt damit Arbeitnehmern ein wesentliches taktisches Mittel im Kündigungsschutzprozess.

Praxistipp

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg ist aus Sicht der Arbeitgeber erfreulich, da es der bisherigen Praxis, sich im Anschluss an eine Arbeitslosmeldung „zurückzulehnen“, eine deutliche Absage erteilt. Zwar ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Aber da die vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegten rechtlichen Maßstäbe zur Darlegungs- und Beweislast die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wiedergeben, bestehen hier gute Chancen, dass das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung bestätigt. Arbeitgeber sind gut beraten, etwaige Annahmeverzugslohnansprüche nicht voreilig hinzunehmen, sondern den Einwand des böswilligen Unterlassens nach § 11 Nr. 2 KSchG zu erwägen.

Im Blick Arbeitsrecht 3
Im Blick Arbeitsrecht 3

Betriebliche Eingliederung einer Führungskraft in die Matrixstruktur

Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss vom 14.06.2022 – 1 ABR 13/21

Die Frage der Eingliederung einer Führungskraft in einen Betrieb spielt insbesondere bei dessen Einstellung und/oder Versetzung eine Rolle. Das BAG hat mit seiner Entscheidung vom 14.06.2022 die entsprechenden Maßstäbe aufgestellt, welche Kriterien für die Frage der Eingliederung eine Rolle spielen.

Verortung des Urteils

Die Frage der Eingliederung von Mitarbeitern spielt u. a. bei den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats eine Rolle. In Unternehmen mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern müssen Arbeitgeber den Betriebsrat gem. § 99 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) vorab u. a. vor jeder Einstellung und Versetzung unterrichten und seine Zustimmung zu der geplanten Maßnahme einholen. Eine personelle Einzelmaßnahme im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kann daher nur nach Zustimmung des Betriebsrats oder ihrer rechtskräftigen Ersetzung in einem Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG oder als vorläufige personelle Maßnahme unter den Voraussetzungen des § 100 BetrVG vorgenommen werden.

2019 hat das BAG (BAG, Beschluss vom 12.06.2019 – 1 ABR 5/18) klargestellt, dass eine Einstellung im Sinne des § 99 BetrVG auch dann vorliegen kann, wenn eine Führungskraft eine Vorgesetztenstellung in einem anderen Betrieb übertragen bekommt. Dies führt dazu, dass ein und dieselbe Führungskraft gleichzeitig in mehreren Betrieben desselben Unternehmens eingestellt werden kann. Damit versucht das BAG, Matrixstrukturen gerecht zu werden. Dass dies allein aber nicht ausreicht, zeigt die Entscheidung des BAG.

Der Sachverhalt

Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen dem Unternehmen und einem Betriebsrat war dessen Beteiligung im Rahmen einer Versetzung nach § 99 BetrVG. Das Unternehmen betreibt als privates Eisenbahnunternehmen Schienenverkehr u. a. in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen (NRW) sowie Niedersachsen und Bremen (NDS/HB).

Der Antragsteller war der im Betrieb NRW gewählte Betriebsrat. Daneben existierte auch ein Betriebsrat für den Betrieb des Unternehmens in NDS/HB. Eine Führungskraft eines niedersächsischen Standorts wurde zum 01.02.2020 mit Zustimmung des für den Betrieb NDS/HB errichteten Betriebsrats als Leiterin Betriebsmanagement eingesetzt. Sie war in dieser Position Vorgesetzte der Langfristdisponenten, die sowohl in NRW als auch in NDS/HB beschäftigt waren und für die sie Jahrespläne erstellte. Auf Grundlage dieser Jahrespläne legte (auch) der im Betrieb NRW tätige Langfristdisponent den Einsatz des dort beschäftigten Personals konkret nach Ort und Zeit fest.

Der für den Betrieb NRW errichtete Betriebsrat meint, dass auch seine Zustimmung erforderlich gewesen sei, weil die Arbeitnehmerin in der neuen Funktion – wie auch in der vorherigen – in den Betrieb NRW eingegliedert sei. Er begehrt die Aufhebung der personellen Maßnahme.

Die Entscheidung

Das BAG teilt diese Auffassung nicht, da die personelle Maßnahme hier unter keinen Umständen zustimmungsbedürftig war.

Für eine Einstellung fehlt es an der notwendigen Eingliederung in den Betrieb NRW: Ob eine Führungskraft eingegliedert und damit tatsächlich in die betriebliche Arbeitsorganisation integriert wird, erfordert eine Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls.

Eine physische Anwesenheit ist insoweit nicht entscheidend. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Arbeitgeber mithilfe des Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck des jeweiligen Betriebs verfolgt.

Hierbei können die fachlichen Weisungsbefugnisse der Führungskraft Berücksichtigung finden, sofern sich aus ihrer Wahrnehmung eine Einbindung bei der Erfüllung der im Betrieb von den dortigen Arbeitnehmern zu erledigenden operativen Aufgaben oder in die dortigen Arbeitsprozesse ergibt. Dies war hier nicht der Fall.

Selbst wenn die Arbeitnehmerin bereits zuvor im Betrieb NRW eingegliedert war, war die personelle Maßnahme auch nicht als Versetzung zustimmungsbedürftig, da hiermit eine etwaige Eingliederung dauerhaft entfallen wäre und der Betriebsrat des abgebenden Betriebs bei einer auf Dauer angelegten Versetzung eines versetzungswilligen Arbeitnehmers nicht beteiligt werden muss.

Damit erteilt das BAG der Auffassung eine deutliche Absage, disziplinarische Weisungsbefugnis als maßgebliches Kriterium für die Frage der betrieblichen Eingliederung einer Führungskraft innerhalb einer Matrixstruktur heranzuziehen.

Kurz erklärt

  • Für die organisatorische Einbindung reicht es nicht aus, wenn eine betriebsfremde Führungskraft nur ein fachliches Weisungsrecht besitzt. Eine Einbindung der betriebsfremden Führungskraft in den Betrieb eines nachgeordneten Mitarbeiters setzt voraus, dass der Führungskraft neben dem fachlichen auch ein nicht unerhebliches disziplinarisches Weisungsrecht gegenüber Mitarbeitern des Betriebs zusteht (z.B. Entscheidungsbefugnis über den konkreten Einsatz des Personals, Kompetenz zur Urlaubserteilung und zum Ausspruch von Abmahnungen) und der Zweck des jeweiligen Betriebs gefördert wird.
  • In der Praxis muss die Frage nach Art und Ausmaß der tatsächlichen operativen Zusammenarbeit der Führungskraft mit (weisungsabhängigen) Beschäftigten beantwortet werden. Dies ist nicht immer leicht.
  • Außerdem stellt das BAG klar, dass bei der rechtlichen Beurteilung einer personellen Einzelmaßnahme diese in ihrem gegenwärtigen Zuschnitt zugrunde zu legen ist. Ändert sich die Tätigkeit des von der personellen Einzelmaßnahme betroffenen Arbeitnehmers, ist die Maßnahme in ihrem jeweils aktuellen Zuschnitt zu beurteilen. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Änderung noch vor dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Anhörung in der Tatsacheninstanz erfolgt ist.

Praxistipp

Personelle Maßnahmen gegenüber einer Führungskraft sind unternehmenspolitisch oftmals sensibel. Es ist genau zu prüfen, welche Betriebsräte hierbei zu beteiligen sind.

Dr. Michaela Felisiak, Rechtsanwältin, ADVANT Beiten

Im Blick Arbeitsrecht 4
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