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Im Blick: Arbeitsrecht

Lesezeit 16 Min.

Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Festlegung von Raucher­pausen, wenn es um die Einhaltung der Arbeitszeit geht

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29.03.2022 – 5 TaBV 12/21 Raucherpausen sind ein Klassiker. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hat hierzu eine wichtige Entscheidung für Arbeitgeber getroffen und entschieden, dass dem Betriebsrat kein Mitbestim­mungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) bei festgelegten Raucherpausen zusteht.

Verortung des Beschlusses

Die Beteiligung des Betriebsrats bei der Einführung von Rauch­verboten hat schon zahlreiche Gerichte beschäftigt. Klar ist, wenn ein Gesetz oder eine Unfallverhütungsvorschrift zwin­gend ein Rauchverbot anordnet (wie z. B. im Lebensmittelge­schäft), besteht kein Mitbestimmungsrecht.

Wenn das Rauchverbot hingegen weder vom Gesetz noch durch Unfallverhütungsvorschriften vorgeschrieben ist, son­dern aus Gründen der betrieblichen Ordnung erlassen wird, kann dem Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht sowohl bei der Anordnung als auch bei der Ausgestaltung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zustehen. Das Mitbestimmungsrecht dient in diesem Fall der Begrenzung des Direktions- und Orga­nisationsrechts des Arbeitgebers und soll die Arbeitnehmer in Anbetracht ungleicher Vertragsparitäten schützen (Bundesar­beitsgericht, Beschluss vom 24.02.1987 – 1 ABR 18/85).

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat nun jedoch entschie­den, dass die Anordnung einer Arbeitgeberin, nach der Rauchen nur in den festgelegten Pausen gestattet ist, regelmäßig nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG unterliegt. Hintergrund ist, dass die Anordnung in dem entschiedenen Fall die Einhaltung der Arbeitszeit sicherstel­len soll und somit nicht das Ordnungsverhalten, sondern das Arbeitsverhalten betrifft.

Der Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Mitbestimmungspflicht des Betriebsrats bei einer arbeitgeberseitigen Anweisung, nach der Rauchen nur in den Pausen gestattet ist. Die Arbeitgeberin erbringt Logistikdienstleistungen in einem Seehafen. Umge­schlagen werden insbesondere große Mengen von Holz und Holzprodukten. Es gibt einen Rahmentarifvertrag, der die Arbeitszeiten samt Pausen regelt.

2020 kam es bei mehreren holzverarbeitenden Unternehmen in der Nachbarschaft des Seehafens zu Bränden, so dass die Arbeitgeberin im November 2020 Verhaltensmaßregeln für das Betriebsgelände des Seehafens herausgab. Darin heißt es unter anderem: „Rauchen, auch die Verwendung von E-Zigaretten, ist außerhalb der ausgeschilderten Bereiche ausdrücklich verboten, es gilt ein generelles Rauchverbot. Somit ist das Rauchen ausschließlich auf den gem. Anlage 1 aufgeführten ‚Raucherinseln‘ und ausschließ­lich in der tariflich vorgeschriebenen Pause gestattet.“

Ziel des Betriebsrats war es, dass die Mitarbeiter auch in unge­planten, betriebsbedingten Arbeitsunterbrechungen rauchen können. Nach der bisherigen Betriebsordnung seien unge­plante, eingeschobene Arbeitsunterbrechungen, in denen geraucht werden konnte, grundsätzlich möglich gewesen, was nicht zu zusätzlichen Pausenzeiten geführt habe. Der Betriebs­rat beantragte unter anderem die Unterlassung der Arbeitge­berin hinsichtlich der Anwendung der Verhaltensmaßregel zum Rauchen, solange keine Zustimmung des Betriebsrats vorliegt.

Die Entscheidung

Das Arbeitsgericht wies den Antrag des Betriebsrats zurück. Auch das LAG hat nun die dagegen erhobene Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen, da die Arbeitgeberin mit der Ver­haltensmaßregel kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt hat.

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen.

Eine gesetzliche oder tarifliche Regelung zum Verhältnis von Rauchen und Arbeitszeit ist nicht vorhanden. Gegen­stand des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwir­ken der Arbeitnehmer. Dieses kann der Arbeitgeber kraft sei­ner Leitungsmacht durch Verhaltensregeln oder sonstige Maßnahmen beeinflussen und koordinieren. Zweck des Mit­bestimmungsrechts ist es, die Arbeitnehmer hieran gleichbe­rechtigt zu beteiligen.

Maßgeblich ist jedoch, dass das Ordnungsverhalten betrof­fen ist. Regelungen und Weisungen, welche die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisieren – sog. Arbeitsverhalten – sind nicht mitbestimmungspflichtig. Wirkt sich eine Maßnahme zugleich auf das Ordnungs- und das Arbeitsverhalten aus, kommt es darauf an, welcher Regelungszweck überwiegt. Entscheidend ist der jeweilige objektive Regelungszweck.

In dem entschiedenen Fall betraf die Anordnung der Arbeit­geberin, dass Rauchen nur in den Pausen, also außerhalb der Arbeitszeit, gestattet ist, ausschließlich das Arbeitsverhalten. Die Anordnung hatte hingegen nichts mit der Koordinierung des Zusammenlebens und Zusammenwirkens der Arbeitneh­mer zu tun, sondern ist ausschließlich auf die Einhaltung der Arbeitszeiten gerichtet.

Im Blick Arbeitsrecht 2022-4
Im Blick Arbeitsrecht 2022-4

Die Begründung ist, dass die Arbeitnehmer während des Rau­chens keine Arbeitsleistung erbringen können. Rauchen außer­halb der vorgesehenen Pausen stellt eine Unterbrechung der Arbeitstätigkeit dar. Die Arbeitgeberin ist nicht verpflichtet, sol­che Arbeitsunterbrechungen zu dulden. Vielmehr haben die Arbeitnehmer während der festgelegten Arbeitszeiten ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Zumindest haben sie sich bereit­zuhalten, um jederzeit die Arbeit nach Anweisung der Arbeitge­berin aufnehmen zu können. Zwar mag es vorkommen, dass es wegen eines schwankenden Arbeitsanfalls nicht immer möglich ist, alle Arbeitnehmer durchgängig zu beschäftigen. Das berech­tigt jedoch weder die Raucher, ihren Arbeitsplatz zu verlassen und eine Raucherinsel aufzusuchen, noch andere Arbeitnehmer, privaten Angelegenheiten welcher Art auch immer nachzugehen. Während der festgelegten Arbeitszeiten besteht Arbeitspflicht, sofern nicht die Arbeitgeberin von sich aus im Einzelfall freiwillig eine zusätzliche bezahlte oder unbezahlte Pause gestattet.

#KurzErklärt

Der Umgang mit betrieblichen Raucherpausen ist ein Klassiker. Maßgeblich für die Frage der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist stets, ob das betriebliche Zusammenleben und Zusam­menwirken betroffen ist. Dies war vorliegend nicht der Fall.

Praxistipp

Arbeitgeber können sich die Abgrenzung zwischen Ordnungs­verhalten und Arbeitsverhalten zu Nutze machen und so ohne die Mitbestimmung des Betriebsrats Raucherpausen zeitlich auf die Pausenzeiten beschränken.

Datenschutz gilt auch für Betriebs­räte – außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds hält!

Landesarbeitsgericht Baden-Würt­temberg, Urteil vom 25.03.2022 – 7 Sa 63/21

Dass auch für ein Betriebsratsmitglied die Regelungen des Datenschutzes gelten, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg im Zusammenhang mit einer gegenüber einem Betriebsratsmitglied der Robert Bosch GmbH („Bosch“) ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung. Das Betriebs­ratsmitglied hatte Prozessakten – darunter die Schriftsätze der Gegenseite – eines vorangegangenen Kündigungsschutzverfah­renes mittels Dropbox veröffentlicht. Aus dem Urteil lassen sich wichtige Schlüsse für den Umgang mit sensiblen Daten ziehen.

Verortung des Urteils

Rechtlich geht es in dem Urteil um drei interessante Aspekte:

  1. Das heikle Thema „Kündigung eines Betriebsratsmitglieds“. Kurz zur Erinnerung: Die Kündigung von Betriebsratsmit­gliedern ist nach § 15 Kündigungsschutzgesetz (KSchG), § 113 BetrVG nur in Form einer außerordentlichen Kündigung mög­lich und stellt in der Praxis für die Arbeitgeberseite oftmals eine nur schwer zu nehmende Hürde dar.
  2. Außerdem geht es um die für die Praxis wichtige Frage, für wen die Regelungen des Datenschutzes gelten und in welchen Fällen und inwieweit Mitarbeiter die Regelungen des Datenschutzrechts, insbesondere der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO), beachten müssen.
  3. Zudem geht es um die Frage, ob Prozessakten veröffentlicht werden dürfen. Hier spielt das Spannungsfeld zwischen vertraulichen Akten einerseits und dem ohnehin bestehenden Öffentlichkeitsgrundsatz eine Rolle.

Der Sachverhalt

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer Kündigung gegenüber einem langjährigen Mitarbeiter (seit über 20 Jah­ren), der seit mehr als 15 Jahren Betriebsratsmitglied bei Bosch war. Dies war bereits die zweite Kündigung. Bosch hatte dem Betriebsratsmitglied zuvor wegen groben Fehlverhaltens gegenüber einer Personalleiterin und Kollegen außerordentlich gekündigt. Die erste Kündigung hielt jedoch einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand.

Im Nachgang zu dem Rechtsstreit der ersten Kündigung veröf­fentlichte das Betriebsratsmitglied Schriftsätze des Unterneh­mens, in denen auch personenbezogene Daten, unter anderem auch Gesundheitsdaten weiterer Mitarbeiter von Bosch, unter voller Namensnennung enthalten waren. Es folgte der Aus­spruch der zweiten außerordentlichen Kündigung. Begrün­det wurde diese mit dem Verstoß gegen die Regelungen des Datenschutzes.

Im Blick Arbeitsrecht 2022-4-2
Im Blick Arbeitsrecht 2022-4-2

Das Betriebsratsmitglied rechtfertigte sich, dass er mit der Ver­öffentlichung der Daten zu den ihn betreffenden Vorwürfen des ersten Kündigungsschutzprozesses Stellung nehmen wollte und er im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2c DS-GVO ausschließlich im Rahmen „persönlicher oder familiärer Tätigkeiten“ gehandelt habe. Außerdem bestehe keine Vorschrift, die es gebiete, Pro­zessakten geheim zu halten.

Die Entscheidung

Das LAG gibt dem Unternehmen recht und stützt die außeror­dentliche Kündigung auf eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch die Veröffentlichung der Schriftsätze.

Zwar gibt es keine explizite Norm, wonach die Veröffentlichung von zivilrechtlichen Prozessakten untersagt ist. Da aber die Schriftsätze des Unternehmens unter anderem Gesundheitsda­ten anderer Mitarbeiter enthalten (personenbezogene Daten), verletzte das Betriebsratsmitglied durch die Veröffentlichung per Dropbox-Link rechtswidrig und schuldhaft die Persönlich­keitsrechte der in diesen Schriftsätzen namentlich genannten Personen.

#KurzErklärt

  • Aus der bislang lediglich veröffentlichten Pressemitteilung ergibt sich, dass das LAG die Bedeutung des Datenschutzes betont und klarstellt, dass die entsprechenden Regelungen auch von Arbeitnehmern einzuhalten sind.
  • Das Betriebsratsmitglied berief sich zwar auf Art. 2 Abs. 2c DS-GVO. Danach sind Personen bei ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeit nicht an die DS-GVO gebunden. Beruf­liche Tätigkeiten sind hingegen von dem Anwendungsbereich der DS-GVO erfasst. Entsprechend sind auch Verstöße gegen die DS-GVO, die Arbeitnehmer während ihrer beruflichen Tätigkeit ausüben, geeignet, Kündigungen zu rechtfertigen.
  • In dem entschiedenen Fall ging es dem Betriebsratsmitglied um das persönliche Anliegen, Stellung zu den Vorwürfen des ersten Kündigungssachverhalts zu nehmen. Entsprechend knüpft das LAG Baden-Württemberg auch nicht an einen Datenschutzverstoß an, sondern stellt – soweit aus der Pres­seerklärung ersichtlich – auf die Persönlichkeitsverletzung der anderen namentlich genannten Mitarbeiter ab.
  • Außerdem zeigt das Urteil, dass derjenige, der im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens Schriftsätze der Gegen­seite öffentlich macht, eine fristlose Kündigung riskiert.

Praxistipp

Datenschutz stellt Arbeitgeber immer wieder vor Herausforde­rungen. Das Urteil verdeutlicht, dass auch Betriebsräte sich an die Regelungen des Datenschutzes halten müssen. Unter Bezug­nahme auf dieses Urteil können Arbeitgeber vertreten, dass § 79a BetrVG (nun endlich) richtig zur Anwendung kommt und entsprechend auch von Betriebsräten beachtet werden muss!

BAG sorgt für Erleichterung bei Arbeitgebern: keine Beweislastum­kehr bei Überstundenklagen

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 04.05.2022 – 5 AZR 359/21

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) äußert sich zu der viel disku­tierten Frage, ob es eine Beweislastumkehr bei Überstunden­klagen zugunsten der Arbeitnehmer gibt. Diese Ansicht hatte das Arbeitsgericht Emden in mehreren Entscheidungen vertre­ten und aus dem kontroversen „Stechuhren-Urteil“ des Europä­ischen Gerichtshofs (EuGH), welches vor über drei Jahren (Urteil vom 14.05.2019, Az. C-55/18) erging, hergeleitet.

Das BAG differenziert in seiner Entscheidung klar zwischen der vergütungsrechtlichen Arbeitszeit (d. h. Arbeitszeit, die vergü­tet wird) und der Arbeitszeit im Sinne des Gesundheitsschutzes (d. h. Arbeitszeit im Sinne des öffentlich-rechtlichen Arbeits­zeitgesetzes). Danach hat das „Stechuhren-Urteil“ keinen Ein­fluss auf Vergütungsklagen von Arbeitnehmern, so das BAG in einer spannenden Entscheidung. Dennoch können sich Arbeit­geber nur bedingt zurücklehnen, da die Thematik durch die zu erwartende gesetzliche Regelung zur Arbeitszeit im Sinne des Gesundheitsschutzes auf sie zukommen wird.

Verortung des Urteils

Der EuGH verpflichtete vor über drei Jahren die Mitgliedstaaten, Regelungen zu schaffen, die wiederum die inländischen Arbeit­geber dazu verpflichten sollen, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Zeiterfassung einzuführen. Vom Ende der Vertrauensarbeitszeit war die Rede und viele Arbeitgeber befürchteten einschneidende Änderungen unter anderem im Hinblick auf Überstunden. Passiert ist seitdem – jedenfalls auf gesetzgeberischer Seite – nichts.

Zusätzlich sorgten Entscheidungen des Arbeitsgerichts Emden aus dem Jahr 2020 (u. a. Urteil vom 20.02.2020 – 2 Ca 94/19, Urteil vom 24.09.2020 – 2 Ca 144/20) für Aufregung und fachten die Diskussionen neu an. Die Emdener Richter gaben im Rah­men eines Überstundenprozesses den Vergütungsklagen statt und modifizierten die prozessuale Darlegungslast zu Gunsten der Arbeitnehmer. Begründet wurde die Beweislastumkehr in Anlehnung an das EuGH-Urteil vom Mai 2019 mit europarechtli­chen Argumenten.

Das Arbeitsgericht Emden vertrat dabei die Auffassung, dass die Arbeitgeberin zur Erfassung der Arbeitszeit gemäß § 618 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in europarechtskonformer Aus­legung dieser Vorschrift unter Berücksichtigung der Vorgaben des EuGH verpflichtet gewesen sei. Verstöße des Arbeitgebers gegen diese Verpflichtung sollten zu einer Beweislastumkehr führen: Hat der Arbeitgeber kein vernünftiges Zeiterfas­sungssystem und kontrolliert er die Zeiten nicht im Sinne der EuGH-Rechtsprechung, müssen Arbeitnehmer nur die Zahl der Überstunden schlüssig vortragen. Der Arbeitgeber müsse dann im Gegenzug beweisen, dass die Überstunden nicht geleistet wurden oder nicht erforderlich waren.

Diese Entscheidung wurde inzwischen durch das Landesar­beitsgericht Niedersachsen „kassiert“ und nun vom BAG final entschieden.

Der Sachverhalt

Der Kläger war als Auslieferungsfahrer bei einem Einzelhandel­sunternehmen beschäftigt. Seine Arbeitszeit erfasste der Klä­ger mittels technischer Zeitaufzeichnung, wobei nur Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzei­ten aufgezeichnet wurden. Zum Ende des Arbeitsverhältnisses ergab die Auswertung der Zeitaufzeichnungen einen positiven Saldo von 348 Überstunden zugunsten des Klägers.

Der Kläger klagte auf eine Überstundenvergütung in Höhe von 5.222,67 Euro brutto. Er hat geltend gemacht, er habe die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet. Pausen zu nehmen, sei nicht möglich gewesen, weil sonst die Auslieferungsauf­träge nicht hätten abgearbeitet werden können. Die Beklagte hat dies bestritten.

Die Entscheidung

Das BAG schloss sich der Auffassung des LAG Niedersachen an und wies die Klage ab. Wer Überstunden einklagt, ist darle­gungs- und beweisbelastet, und zwar für die geleisteten Stun­den und deren Notwendigkeit.

Daran ändert auch das „Stechuhren-Urteil“ des EuGH nichts. Die zentrale Erkenntnis ist, dass eine unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit dem Gesundheits­schutz dient und damit keine Auswirkung auf die Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Über­stundenvergütungsprozess nach deutschem Recht hat. Inso­weit spielt das Prinzip der Einzelermächtigung eine Rolle. Der EuGH hat zwar eine Kompetenz zu Fragen des Arbeitsschutz­rechts – wie die Wahrung der Höchstarbeitszeit – , aber eben nicht für Vergütungsfragen. Das „Stechuhren-Urteil“ bezieht sich allein auf Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und ist daher nicht auf Vergütungsklagen übertragbar.

Die Vergütungsklage scheiterte somit zu Recht an der feh­lenden hinreichend konkreten Darlegung des Klägers. Die­ser hätte vortragen müssen, dass es erforderlich gewesen sei, ohne Pausenzeiten durchzuarbeiten, um die Auslieferungsfahr­ten zu erledigen. Die Berechnung des Klägers erfolgte durch die pauschale Behauptung, er habe zur Erledigung seiner Arbeit in der vorgesehenen Arbeitszeit schlicht keine Zeit für Pause gehabt und stattdessen durcharbeiten müssen. Die pauschale Behauptung genügt jedoch ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten nicht zur Erfüllung der Darlegungs- und Beweislast.

#KurzErklärt

  • Nach wie vor können Arbeitgeber bei Überstundenkla­gen weitgehend „entspannt“ bleiben. Hintergrund sind die – immer noch – bestehenden hohen Hürden der Darle­gungs- und Beweislast für Arbeitnehmer. Diese müssen unter anderem darlegen und beweisen, an welchen Tagen sie von wann bis wann wie viele Überstunden geleistet haben und von wem diese Überstunden angeordnet wurden.
  • Hätte das BAG anders entschieden und sich der ersten Instanz angeschlossen, hätte eine Prozesswelle auf Überstundenab­geltung im Raum gestanden. Arbeitnehmer hätten sich dann recht pauschal auf die Ableistung von Überstunden berufen können und Unternehmen hätten ohne entsprechende Zeiter­fassung dem wenig entgegensetzen können.
  • Zunächst bleibt damit alles beim Alten! Dennoch besteht der gesetzgeberische Auftrag aus dem „Stechuhren-Urteil“ wei­terhin und der Gesetzgeber wird (nun endlich) tätig werden müssen.

Praxistipp

Viel Lrm um nichts? Nicht ganz, denn nach wie vor werden tglich zahlreiche berstunden geleistet und es stellt sich die Frage, wie Arbeitgeber damit umgehen sollten und wie die Zeit bis zur gesetzgeberischen Umsetzung des EuGH-Urteils genutzt werden kann.

Aufgrund der Differenzierung des BAG ist davon auszugehen, dass sich die künftige gesetzliche Regelung lediglich auf die Arbeitszeit im öffentlich-rechtlichen Sinne und nicht im ver­gütungsrechtlichen Sinne beziehen wird. Dennoch wird ein etabliertes Arbeitszeitsystem Arbeitnehmern künftig die Füh­rung von Überstundenprozessen erleichtern.

Grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung: Klage einer ausländi­schen Leiharbeitnehmerin scheitert

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.04.2022 – 9 AZR 228/21

Die grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung ist kom­plex, gewinnt aber nicht zuletzt durch die während der Pande­mie lieb gewonnene Flexibilität immer mehr an Bedeutung.

Neben der klassischen Form der Arbeitnehmerüberlassung, bei der ein Verleiher einen Mitarbeiter einem Entleiher für eine gewisse Zeit überlässt, gibt es inzwischen auch neue Varianten der Arbeitnehmerüberlassung, nämlich mit einem Auslandsbezug. Dass nicht in jedem Fall ein deutscher Kunde das Risiko der Begründung eines deutschen Arbeitsvertrags mit dem betreffenden Leiharbeitnehmer trägt, zeigt das hierzu ergangene BAG-Urteil.

Verortung des Urteils

Soweit es sich um eine Arbeitnehmerüberlassung im deutschen Sinne handelt, muss der Verleiher über eine deutsche Arbeit­nehmerüberlassungserlaubnis verfügen. Ausländische Verleiher und ausländische Unternehmen, die Mitarbeiter in Deutschland einsetzen, haben diese oft nicht. Ob dies zu einem Problem werden kann, hängt davon ab, ob in der betroffenen Konstel­lation das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) überhaupt anwendbar ist.

Ist das AÜG anwendbar, beispielsweise wenn ein Verleih von Arbeitnehmern aus dem Ausland nach Deutschland hinein erfolgt, liegt in der Regel eine erlaubnispflichtige Arbeitneh­merüberlassung vor. Fehlt eine deutsche Arbeitnehmerü­berlassungserlaubnis besteht unter anderem – aber nicht ausschließlich – das Risiko der Begründung eines Arbeitsver­trags zwischen dem deutschen Entleiher und dem vermeintli­chen Leiharbeitnehmer (§ 9 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 AÜG).

Dies war die entscheidende Frage in dem entschiedenen Fall.

Der Sachverhalt

Die Klägerin ist französische Staatsangehörige und hat ihren Wohnsitz in Frankreich. Sie wurde von einer Gesellschaft, die ihren Sitz in Frankreich hat, zum 01.10.2014 als Ingenieurin ein­gestellt. Das Arbeitsverhältnis unterliegt kraft Rechtswahl fran­zösischem Recht.

Vom 01.10.2014 bis zum 30.04.2016 wurde die Klägerin von ihrer Arbeitgeberin im Betrieb eines deutschen Unternehmens in Karlsruhe als Technikerin/Beraterin eingesetzt. Nachdem die Klägerin anschließend bei anderen Kunden der französischen Arbeitgeberin tätig war, kündigte diese das Arbeitsverhältnis. In einem gerichtlichen Verfahren in Frankreich macht die Klägerin den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend.

Außerdem verklagte die Klägerin in Deutschland das deut­sche Unternehmen und beantragte festzustellen, dass sie zur Beklagten seit dem 01.10.2014 in einem Arbeitsverhältnis stehe, und verlangte außerdem Differenz-, Überstunden- und Annah­meverzugsvergütung. Die Klägerin hat im Wesentlichen die Auffassung vertreten, dass zwischen den Parteien gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG a. F. zum 01.10.2014 ein unbefristetes Arbeits­verhältnis zustande gekommen sei, da es sich um eine ille­gale Arbeitnehmerüberlassung zwischen dem deutschen und dem französischen Unternehmen gehandelt habe. Sie sei der Beklagten zur Arbeitsleistung überlassen worden und der Arbeitsvertrag mit ihrer französischen Arbeitgeberin sei, obwohl für das Arbeitsverhältnis französisches Recht gelte, in Deutschland infolge der unerlaubten Überlassung nach § 9 Nr. 1 AÜG a. F. unwirksam.

Die Entscheidung

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesar­beitsgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte jedoch Erfolg.

Kernaussage des Urteils ist, dass kein Arbeitsverhältnis zwi­schen der Klägerin und dem deutschen Unternehmen zustande gekommen ist. Die Voraussetzungen der maßgeblichen Vor­schriften (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG a. F.) sind nicht erfüllt. Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen einer Leih­arbeitnehmerin und ihrem Entleiher setzt voraus, dass der zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer geschlossene Leihar­beitsvertrag unwirksam ist. Die Verletzung der Erlaubnispflicht führt aber nicht zur Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags, wenn das Leiharbeitsverhältnis dem Recht eines anderen Mit­gliedstaats der EU unterliegt. Daher kommt es nicht zu einem fingierten Arbeitsverhältnis mit dem deutschen Arbeitgeber.

#KurzErklärt

  • Vor jedem Einsatz von Fremdpersonal im Betrieb ist zwin­gend das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung zu prüfen. Sollte Fremdpersonal im Wege der Arbeitnehmerüberlassung gestellt werden, muss der Vertragspartner (= Verleiher) über eine gültige Erlaubnis verfügen. Dies gilt auch bei der Arbeit­nehmerüberlassung von ausländischen Verleihern. Liegt eine solche doch nicht vor oder stellt sich erst im Nachhinein her­aus, dass es sich um eine illegale Arbeitnehmerüberlassung gehandelt hat, können Arbeitgeber jedenfalls mit Blick auf das fingierte Arbeitsverhältnis aufatmen, wenn der Arbeitsver­trag des Leiharbeitnehmers nach ausländischem Recht wirk­sam ist.

Praxistipp

Die Entscheidung des BAG hat erhebliche Praxisrelevanz. Der Einsatz von Fremdpersonal ist komplex, insbesondere wenn es sich um eine grenzüberschreitende Konstellation handelt. Oftmals ist schon nicht auf den ersten Blick erkennbar, ob es sich um eine Arbeitnehmerüberlassung handelt oder nicht. Auch wenn sich ein typisches Risiko einer illegalen Arbeitneh­merüberlassung in dem entschiedenen Fall nicht realisiert hat, sollten Arbeitgeber sich der damit einhergehenden Risi­ken bewusst sein.

Dr. Michaela Felisiak, Rechtsanwältin, ADVANT Beiten

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