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Im Blick: Arbeitsrecht

Arbeitgeber dürfen bei Verdacht auf vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit nur unter strengen Voraussetzungen Maßnahmen ergreifen, wie eine verdeckte Beobachtung. Datenschutz und der Schutz personenbezogener Daten sind hierbei besonders wichtig, da Verstöße zu Schadensersatzansprüchen führen können. Es muss sichergestellt werden, dass Überwachungsmaßnahmen verhältnismäßig sind.

Lesezeit 14 Min.

Entgeltbenachteiligung – Sechser im Lotto? So einfach ist es nicht!

Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg, Urteil vom 01.10.2024 – 2 Sa 14/24

Stellt sich im Vergleich von Frauen und Männern eine ungleiche Vergütung heraus, obliegt es dem Arbeitgeber, schlüssig darzulegen und nachzuweisen, dass ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht für die Differenz verantwortlich sind. Ist eine geschlechtsbezogene Benachteiligung festgestellt, berechnet sich der Anspruch auf Zahlung der Entgeltdifferenz in der Regel anhand des durchschnittlichen Entgelts (Medianentgelts) der Vergleichsgruppe des anderen Geschlechts. Eine Abweichung hiervon kommt nur dann in Betracht, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Benachteiligung gegenüber einem bestimmten Arbeitnehmer vorliegen.

Verortung des Urteils

Diese Rechtslage wird sich nächstes Jahr verschärfen. Die Entgelttransparenzrichtlinie stellt einen entscheidenden Schritt im Kampf gegen Lohnungleichheit dar. In vielen europäischen Ländern, darunter Deutschland, bestehen nach wie vor signifikante Unterschiede in der Entlohnung von Männern und Frauen – das sogenannte Gender Pay Gap. Diese Ungerechtigkeit zieht sich durch viele Branchen und Unternehmensgrößen. Um dem entgegenzuwirken, trat am 06.06.2023 die Entgelttransparenz-Richtlinie (EU) 2023/970 in Kraft ( „EntgTranspRL“). Bis zum 07.06.2026 haben die Mitgliedstaaten Zeit, diese in nationales Recht umzusetzen. Viele Unternehmen haben noch nicht erkannt, was das konkret bedeutet und dass bereits jetzt Handlungsbedarf besteht.

Aber auch nach bisheriger Rechtslage sehen sich Unternehmen mit Forderungen nach Anpassung eines individuellen Entgelts konfrontiert, wie das aktuelle Urteil des LAG Baden-Württemberg zeigt.

Sachverhalt

Die seit knapp 30 Jahren bei der Arbeitgeberin beschäftigte Arbeitnehmerin machte eine höhere Vergütung aus dem Gesichtspunkt der Entgeltgleichbehandlung nach dem Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) sowie dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend. Vor mehr als 15 Jahren wurde sie zur Abteilungsleiterin (dritte Führungsebene des Unternehmens) befördert. Aus der Elternzeit kehrte sie in Teilzeit zurück. Seitdem erhält sie weniger Gehalt als ihre männlichen Kollegen auf gleicher Ebene. Ihr Entgelt lag sowohl unterhalb des Medianentgelts der weiblichen als auch deutlich unterhalb des Medianentgelts der männlichen Vergleichsgruppe. Sie verlangte primär die Differenz ihrer individuellen Vergütung zum Entgelt eines von ihr namentlich benannten – und bestbezahlten – männlichen Vergleichskollegen, hilfsweise machte sie die Differenz ihrer individuellen Vergütung zum Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe geltend.

Die Arbeitnehmerin verlangte eine Nachzahlung für die zurückliegenden fünf Jahre in Höhe von 420.000 Euro. Die Mitarbeiterin behauptete eine Ungleichbehandlung aufgrund ihres Geschlechts. Eine Ungleichbehandlung in Bezug auf den von ihr namentlich benannten männlichen Kollegen konnte sie jedoch nicht weiter begründen.

Die Entscheidung

Das LAG Baden-Württemberg schloss sich der Vorinstanz im Wesentlichen an und sprach der Arbeitnehmerin einen Anspruch auf Vergütungsdifferenz zu – jedoch lediglich bis zur Höhe des Medianentgelts der männlichen Vergleichsgruppe.

Das Gericht entnahm Art. 157 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bzw. §§ 3 Abs. 1, 7 EntgTranspG, dass nicht irgendein Indiz im Sinne des § 22 AGG für eine geschlechtsbedingte Vergütungsdiskriminierung ausreiche, um einen Anspruch auf den maximal denkbaren Differenzbetrag – hier zum bestbezahlten männlichen Kollegen – zu begründen. Vielmehr verlangte es ein konkretes Indiz für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung zur primär geltend gemachten Vergütung des benannten männlichen Kollegen.

Die Besonderheit des Falls lag darin, dass die Vergütung des zum Vergleich herangezogenen Kollegen wesentlich oberhalb des Medianentgelts der männlichen Vergleichsgruppe lag. Gleichzeitig erhielt die Arbeitnehmerin auch weniger Gehalt als das konkret bezifferte Medianentgelt der weiblichen Vergleichsgruppe. Daher bestand für das LAG kein hinreichender Zusammenhang hinsichtlich einer geschlechtsbedingten Benachteiligung zum namentlich benannten männlichen Kollegen.

Konsequenzen für die Praxis

  • Ist aufgrund des Auskunftsanspruchs von Arbeitnehmern eine Vergütungsdifferenz festgestellt worden, stehen Arbeitgeber bereits jetzt vor der hohen Darlegungs- und Beweislast, die unterschiedliche Vergütung durch objektive, geschlechtsunabhängige Faktoren zu erklären. Die vorgebrachten sachlichen Kriterien müssen auf einem legitimen Ziel beruhen sowie geeignet und erforderlich sein.
  • Im konkreten Fall wurde lediglich noch um die Höhe der Entgeltdifferenz gestritten.
  • Die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) wurde wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen. Es ist somit noch nicht rechtskräftig geklärt, ob sich die Höhe der Vergütungsdifferenz tatsächlich nach dem Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe richtet. Es bleibt also abzuwarten, wie sich das BAG hierzu positioniert.

Praxistipp

Eine Miniaturfigur eines Mannes steht auf einem hohen Stapel Münzen, während eine weibliche Figur auf einem niedrigeren Stapel positioniert ist, um den Gender Pay Gap zu erklären. Im Hintergrund erkennt man, dass eine Person im Anzug verschwommen ist. Dieses Bild soll Personalverantwortlichen und Spezialisten in der Entgeltabrechnung einen eindrucksvollen Überblick über die Notwendigkeit bieten, Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern zu erkennen und gezielt anzugehen.

Mit Blick auf die vom deutschen Gesetzgeber umzusetzende Entgelttransparenzrichtlinie sollten Arbeitgeber frühzeitig ihre Gehaltsstrukturen analysieren und überprüfen, ob gleiche sowie gleichwertige Arbeit grundsätzlich gleich vergütet wird – unabhängig vom Geschlecht. Hierbei ist es wichtig, sowohl die Gesamtvergütung als auch die einzelnen Vergütungskomponenten (wer erhält einen Dienstwagen, wer ein Jobticket etc.) zu berücksichtigen.

Sollten sachliche Kriterien gegen eine gleiche Vergütung sprechen, empfiehlt sich weiterhin eine detaillierte Dokumentation.

Hierbei ist auch darauf zu achten, dass die Gewichtung der sachlichen Kriterien ausreichend berücksichtigt wird. Ein Schlüssel können leistungsabhängige Boni sein, die z. B. an eine gewisse Erfolgsquote anknüpfen.

Erschütterung eines Beweiswerts einer im Nicht-EU-Ausland ausgestellten

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 15.01.2025 – 5 AZR 284/24

Der Beweiswert einer im Nicht-EU-Ausland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann erschüttert sein, wenn nach der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung des zu würdigenden Einzelfalls Umstände vorliegen, die zwar für sich betrachtet unverfänglich sein mögen, in der Gesamtschau aber ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Bescheinigung begründen. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie bei einer in Deutschland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU).

Verortung des Urteils

Grundsätzlich stellt eine ärztliche Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) ein wichtiges Beweismittel für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit dar. Dies gilt nicht nur für Bescheinigungen, die im Inland ausgestellt wurden, sondern auch für solche, die im Ausland – einschließlich Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union – ausgestellt werden. Dennoch kann der Beweiswert einer solchen Bescheinigung im Einzelfall erschüttert werden, wenn objektive Umstände ernsthafte Zweifel an ihrer Richtigkeit aufkommen lassen.

Aus arbeitsrechtlicher Sicht ist seit Langem anerkannt, dass ärztlichen Attesten ein „starker Beweiswert“ zukommt, auch wenn – je nach Umständen – diese Rechtsprechung ins Wanken gerät. Im Grundsatz ist es nach wie vor so, dass Arbeitgeber, die die AU anzweifeln, konkrete Indizien vortragen müssen, die den Vermutungstatbestand der Arbeitsunfähigkeit ernsthaft erschüttern können. Für im Ausland ausgestellte Atteste gelten dieselben Grundsätze wie für in Deutschland ausgestellte Bescheinigungen; ausschlaggebend ist die Gesamtschau aller Fakten und Umstände des Einzelfalls. Einzelne, für sich genommen unverdächtig wirkende Aspekte können in ihrer Gesamtheit erheblichen Zweifel an der Echtheit oder an der Aussagekraft der ärztlichen Feststellung wecken.

Vor diesem Hintergrund beleuchtet das BAG die Frage, in welchen Fällen und anhand welcher Kriterien der Arbeitgeber trotz Vorliegens einer ausländischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Fortzahlung des Arbeitsentgelts (bzw. die Zahlung von Krankenentgelt) verweigern darf, weil er den ärztlichen Befund erfolgreich erschüttert hat.

Eine Frau, die sich auf einem Bett ausruht, eingehüllt in eine hellblaue Decke, hält ein Telefon ans Ohr. Ihr Gesichtsausdruck zeigt Sorge und Nachdenklichkeit, während sie in die Ferne schaut. Im Hintergrund sind verschwommene grüne Pflanzen erkennbar. Stellen Sie sich vor, wie Ihre Kolleginnen und Kollegen aus der Entgeltabrechnung und Personalbetreuung mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind – stets bemüht, genau zuzuhören und gezielte Lösungen für bearbeitet zu finden – um sicherzustellen, dass alle Abrechnungsvorgänge reibungslos verlaufen und die personalbezogenen Probleme mit Empathie behandelt werden.

Der Sachverhalt

Der Kläger ist seit 2002 als Lagerarbeiter bei der Beklagten mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt 3.612,94 Euro beschäftigt. In den Jahren 2017, 2019 und 2020 legte er der Beklagten im direkten zeitlichen Zusammenhang mit seinem Urlaub Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Vom 22.08. bis zum 09.09.2022 hatte der Kläger Urlaub, den er in Tunesien verbrachte. Mit E-Mail vom 07.09.2022 teilte er der Beklagten mit, er sei bis zum 30.09.2022 krankgeschrieben. Beigefügt war ein Attest vom 07.09.2022 eines tunesischen Arztes, der in französischer Sprache bescheinigte, dass er den Kläger untersucht habe, dieser an „schweren Ischialbeschwerden” im engen Lendenwirbelsäulenkanal leide, der Kläger 24 Tage strenge häusliche Ruhe bis zum 30.09.2022 benötige und er sich während dieser Zeit nicht bewegen oder reisen dürfe. Einen Tag nach dem Arztbesuch buchte der Kläger am 08.09.2022 ein Fährticket für den 29.09.2022 und reiste an diesem Tag mit seinem PKW zunächst mit der Fähre von Tunis nach Genua und dann weiter nach Deutschland zurück.

Danach legte er der Beklagten eine Erstbescheinigung eines deutschen Arztes vom 04.10.2022 vor, in der eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 08.10.2022 bescheinigt wurde. Nachdem die Beklagte dem Kläger mitgeteilt hatte, dass es sich ihrer Auffassung nach bei dem Attest vom 07.09.2022 nicht um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung handele, legte der Kläger eine erläuternde Bescheinigung des tunesischen Arztes vom 17.10.2022 vor, in welcher der Arzt bescheinigte, den Kläger am 07.09.2022 untersucht zu haben. Weiter heißt es: „Er hatte eine beidseitige Lumboischialgie, die eine Ruhepause mit Arbeitsunfähigkeit und Reiseverbot für 24 Tage vom 07.09.2022 bis zum 30.09.2022 erforderlich machte.“

Die Beklagte lehnte die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab und kürzte die Vergütung für September 2022 um 1.583,02 Euro netto. Mit seiner Klage hat der Kläger zuletzt Entgeltfortzahlung für September 2022 in dieser Höhe verlangt. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil abgeändert und die Beklagte zur Zahlung verurteilt.

Ein Mitarbeiter aus der Entgeltabrechnung und Personalbetreuung entspannt auf einer Couch, eingehüllt in eine hellblaue Decke, während er ein Telefon ans Ohr hält. Weiche Kissen bieten unterstützenden Komfort im Rücken. Das Bild hebt das angenehme und entspannte Umfeld hervor, das eine ausgeglichene Work-Life-Balance symbolisiert – genau das, was auch in Ihrem Arbeitsbereich wichtig ist, um produktiv und ausgeglichen zu bleiben.

Die Entscheidung

Das BAG gab jedoch der Beklagten Recht. Argument: Das LAG hat zwar im Ausgangspunkt zutreffend erkannt, dass einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die in einem Land außerhalb der Europäischen Union ausgestellt wurde, grundsätzlich der gleiche Beweiswert wie einer in Deutschland ausgestellten Bescheinigung zukommt, wenn sie erkennen lässt, dass der ausländische Arzt zwischen einer bloßen Erkrankung und einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankheit unterschieden hat. Das LAG hat aber bei der Würdigung der von der Beklagten zur Begründung ihrer Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit vorgetragenen tatsächlichen Umstände nur jeden einzelnen Aspekt isoliert betrachtet und die rechtlich gebotene Gesamtwürdigung unterlassen.

Hierbei war zu berücksichtigen, dass der tunesische Arzt dem Kläger für 24 Tage Arbeitsunfähigkeit bescheinigte, ohne eine Wiedervorstellung anzuordnen. Weiter buchte der Kläger bereits einen Tag nach der attestierten Notwendigkeit häuslicher Ruhe und des Verbots, sich bis zum 30.09.2022 zu bewegen und zu reisen, ein Fährticket für den 29.09.2022 und trat an diesem Tag die lange Rückreise nach Deutschland an. Zudem hatte er bereits in den Jahren 2017 bis 2020 dreimal unmittelbar nach seinem Urlaub Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. Diese Gegebenheiten mögen – wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat – für sich betrachtet unverfänglich sein. In einer Gesamtschau begründen sie indes ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Das hat zur Folge, dass nunmehr der Kläger die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG trägt. Da das Landesarbeitsgericht – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen.

Konsequenzen für die Praxis

  • Bei Bescheinigungen aus dem Nicht-EU-Ausland können sprachliche, formale und qualitative Unterschiede auftreten. Auch wenn das allein keinen hinreichenden Grund zur Ablehnung der Bescheinigung darstellt, können auffällige Abweichungen (z. B. fehlende Kontaktdaten der Praxis oder unklare Diagnosestempel) Zweifel verstärken.
  • Das Urteil zeigt, dass auch die Bewertung der Gesamtumstände wichtig sein kann

Praxistipp

Ein Bildmotiv, das gezielt Fachkräfte aus der Entgeltabrechnung und Personalbetreuung ansprechen soll, zeigt eine Straßenszene in der Stadt. Durch eine Lupe wird die enge Zusammenarbeit zweier Personen hervorgehoben, die sich die Hände reichen. Im Hintergrund sind moderne Gebäude und ein warmes Sonnenuntergangslicht zu erkennen, was einen interessanten Kontrast zwischen dem klaren Vordergrund und den verschwommenen Umgebungen schafft. Dieses Bild symbolisiert die präzise Arbeit in Ihrer Berufsgruppe: Das Zusammenspiel detaillierter Datenverarbeitung mit dem menschlichen Touch der Personalbetreuung.

Arbeitgeber sind gut beraten, sich AUs genau anzusehen. Auch wenn einzelne Umstände (z. B. ungewöhnliche Reisedaten, auffällige Häufung der Krankheitstage in Verbindung mit Freizeitaktivitäten etc.) zunächst für sich genommen unverfänglich sein mögen, sollten Arbeitgeber stets eine Gesamtschau vornehmen.

Nur wenn sich aus der Summe der Indizien erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeit ergeben, kann der Beweiswert erschüttert werden. Wie immer ist die Dokumentation sehr wichtig. Arbeitgeber sollten genau festhalten, warum sie an dem Attest zweifeln (z. B. Dauer und Zeitpunkt der Krankheit, Rückmeldungen von Kollegen, vorangegangene Streitigkeiten, Social-Media-Aktivitäten des Mitarbeiters etc.). Diese Dokumentation bildet später die Grundlage für eine fundierte Argumentation, gegebenenfalls auch vor Gericht.

Wann dürfen aus Sicht des Datenschutzes Überwachungsmaßnahmen der Mitarbeiter bei zweifelhaften AUs unternommen werden?

BAG, Urteil vom 25.07.2024 – 8 AZR 225/23

Was gilt datenschutzrechtlich, wenn ein Arbeitgeber Zweifel an einer behaupteten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) hat? Ab wann dürfen Überwachungsmaßnahmen datenschutzrechtlich durchgeführt werden? Voraussetzung hierfür ist, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert ist, entschied jüngst das BAG. Ist diese Hürde nicht genommen, kann dies einen Anspruch auf Entschädigung nach der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) begründen.

Verortung des Urteils

Die heimliche Beobachtung von Arbeitnehmern ist ein heikles Thema, das sowohl arbeitsrechtlich als auch datenschutzrechtlich auf einem schmalen Grat balanciert. Besonders in Fällen, in denen der Verdacht auf eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit besteht, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Observation zulässig sein kann. Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu erneut Stellung bezogen und seine Rechtsprechung präzisiert. Arbeitgeber sehen sich dabei nicht nur mit strengen nationalen Vorgaben konfrontiert, sondern müssen auch die wachsende Bedeutung unionsrechtlicher Datenschutzanforderungen berücksichtigen. Diese erschweren es, die Grenzen des Zulässigen klar zu bestimmen, und bergen erhebliche Risiken, insbesondere in Bezug auf Schadensersatzansprüche.

Der Sachverhalt

Ein privat krankenversicherter Arbeitnehmer meldete sich am 04.02.2022 bei der Arbeitgeberin aufgrund einer „außerhalb der Arbeitszeit“ an diesem Tag erlittenen Verletzung arbeitsunfähig krank. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung war bis zum 18.02.2022 und die Folgebescheinigung bis zum 04.03.2022 ausgestellt.

Vorausgegangen waren zwei gerichtlich für unwirksam erklärte betriebsbedingte Kündigungen durch die Arbeitgeberin. Zum Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit lief ein weiteres Gerichtsverfahren zur Klärung einer Änderungskündigung.

Die Arbeitgeberin hegte den Verdacht einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit. Sie ließ den Arbeitnehmer daher in der Zeit vom 25.02.2022 bis zum 04.03.2022 durch eine Detektei zumindest stichprobenartig überwachen. Im Zuge der Observation wurden auch die Hausarztpraxis und das Wohnhaus seiner ehemaligen Lebensgefährtin aufgesucht. Bei der Überwachung wurde der Arbeitnehmer dabei beobachtet, wie er unter anderem sperrige Gegenstände verlud, eine Autobatterie ausbaute und umhertrug sowie Heimwerkerarbeiten verrichtete.

Ein kleines Modellhaus mit einem digitalen Schlosssymbol steht im Fokus, während der Hintergrund in warmen, leuchtenden Lichtern erstrahlt. Das Haus befindet sich auf einer dunklen Fläche und symbolisiert die fortschrittlichen Technologien eines Smart Homes. Für Profis aus Entgeltabrechnung und Personalbetreuung verdeutlicht dieses Bild die nahtlose Integration moderner Technologie in alltägliche Prozesse. Es ist ein Sinnbild für die Effizienzsteigerung und Sicherheit durch digitale Lösungen – genauso wie moderne Software-Tools bei der Verwaltung von Gehaltsabrechnungen und Mitarbeiterdaten neue Maßstäbe setzen können.

Am 23.03.2022 hörte die Arbeitgeberin den Mitarbeiter zum Vorwurf der Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit an. Er behauptete, die beobachteten Tätigkeiten hätten den Genesungsprozess nicht behindert. Aufgrund der aus seiner Sicht illegalen Überwachungsmaßnahme machte er „Schmerzensgeld“ in Höhe von mindestens 25.000 Euro geltend. Das Arbeitsgericht Krefeld wies die Klage auf Schmerzensgeld erstinstanzlich ab. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf verurteilte die Arbeitgeberin zweitinstanzlich gestützt auf Art. 82 Abs. 1 DS-GVO zu einer „Entschädigung“ in Höhe von 1.500 Euro.

Die Entscheidung

Das BAG schloss sich der Entscheidung des LAG Düsseldorf an. Nach seiner Ansicht stellt die Dokumentation des sichtbaren Gesundheitszustands eines Arbeitnehmers eine Verarbeitung von Gesundheitsdaten i. S. v. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DS-GVO i. V. m. § 26 Abs. 3, § 22 Abs. 2 Bundesdatenschutzgesetz dar. Haben Arbeitgeber Zweifel am Vorliegen einer ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit und möchten sie Arbeitnehmer deshalb beispielsweise durch Detektive beobachten lassen, kann die daraus folgende Verarbeitung von Gesundheitsdaten nur zulässig sein, wenn der Beweiswert der vorgelegten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert und eine Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse nicht möglich oder erfolgversprechend ist.

Im vorliegenden Fall verneinte das BAG eine Erschütterung des Beweiswerts der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Aufgrund der somit festgestellten rechtswidrigen Überwachung bestätigte das BAG die zugesprochene Entschädigung als immateriellen Schaden wegen des Verlusts der Kontrolle über personenbezogene Daten i. S. v. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO.

Konsequenzen für die Praxis

  • Das BAG hat mit diesem Urteil seine bisherige Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Observationen bei Verdacht auf eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit bestätigt. Demnach bleibt eine verdeckte Überwachung zur Überprüfung einer angezweifelten Arbeitsunfähigkeit nur unter strengen Voraussetzungen erlaubt. Besonders sensibel ist dabei der Umgang mit Daten aus dem privaten Lebensbereich der Arbeitnehmer sowie mit deren Gesundheitsdaten.
  • Zusätzliche Herausforderungen im Datenschutzrecht ergeben sich durch unionsrechtliche Vorgaben. Diese verlangen unter anderem, dass Schadensersatz in Höhe des tatsächlich erlittenen Schadens vollständig kompensiert wird. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht den vom Landesarbeitsgericht zugesprochenen Schadensersatz in Höhe von 1.500 Euro nicht beanstandet, doch dürfte es in der Praxis oft schwierig sein, den konkreten Schaden im Einzelfall präzise zu bemessen.
  • Arbeitgeber sind daher angehalten, mit personen- und gesundheitsbezogenen Daten von Beschäftigten besonders umsichtig umzugehen. Um langwierige Rechtsstreitigkeiten und hohe Schadensersatzforderungen zu vermeiden, sollten vor einer Observation die rechtlichen Voraussetzungen sorgfältig geprüft werden. Zudem ist sicherzustellen, dass eine Überwachung – wenn überhaupt – nur mit minimaler Eingriffsintensität durchgeführt wird.
  • In der Praxis ist zwischen der arbeitsrechtlichen (prozessualen) Verwertbarkeit und der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit von Überwachungsmaßnahmen zu unterscheiden. Nur weil eine Überwachung datenschutzrechtlich unzulässig ist, folgt hieraus nicht zwingend ein Verwertungsverbot, denn nach dem BAG ist „Datenschutz kein Tatenschutz“
Auf einem Laptop-Bildschirm erscheint ein großes Fingerabdrucksymbol, umgeben von mehreren Schloss-Icons, die für digitale Sicherheit und Datenschutz stehen. Diese visuelle Darstellung unterstreicht die Wichtigkeit des Schutzes sensibler Informationen in der Entgeltabrechnung und Personalbetreuung. Im Hintergrund sind warme Lichttöne zu sehen, die eine vertrauensvolle und sichere Arbeitsumgebung symbolisieren.

Praxistipp

Im Fall des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit sollte zunächst der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sein, bevor einschneidende Überwachungsmaßnahmen ergriffen werden. Hier ist ein besonderes Augenmerk auf die ärztlichen Vorgaben zur Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie (AURL) zu legen. Verstöße gegen die AURL können den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung regelmäßig erschüttern.

Die vom BAG geforderte Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse ist erfahrungsgemäß in den wenigsten Fällen erfolgversprechend. Losgelöst vom Verdacht des „Krankfeierns“ wird von den Arbeitsgerichten bei verdeckten Überwachungsmaßnahmen ein strenger Maßstab angelegt. In jedem Fall sollten Arbeitgeber Anfangsverdachtsmomente von Pflichtverletzungen gut dokumentieren. Sie stellen die Grundlage für die Bewertung eines Verwertungsverbots dar.

Dr. Michaela Felisiak, Councel bei Eversheds Sutherland/ Fachanwältin für Arbeitsrecht

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