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Krankschreibung aus dem Ausland? Warum Arbeitgeber genau hinschauen sollten

Das BAG stellt klar: Eine Krankschreibung aus dem Ausland kann angezweifelt werden, wenn konkrete Zweifel bestehen – Arbeitgeber dürfen dann die Entgeltfortzahlung verweigern.

AllgemeinArbeitsrecht
Lesezeit 4 Min.
Zettel mit roter Aufschrift „Krank“ und traurigem Smiley auf Computertastatur – Symbolbild für Krankschreibung aus dem Ausland und Arbeitgeberpflichten.
Foto: © stock.adobe.com/Gina Sanders

Krank im Urlaub? Das kann passieren. Aber wenn die Arbeitsunfähigkeit über den Urlaub hinausreicht – und das Attest aus dem Ausland stammt – lohnt sich für Arbeitgeber ein genauer Blick. Das BAG hat entschieden: Der Beweiswert einer ausländischen AU kann erschüttert werden – mit weitreichenden Folgen für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung. 

Verortung des Urteils

Arbeitsunfähigkeitsnachweis aus dem Ausland: Beweiswert nicht unerschütterlich

Ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU) sind im Arbeitsalltag ein zentrales Instrument – sie gelten als starker Beleg für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit und lösen in der Regel die Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers aus.

Das Gesetz sieht vor, dass Arbeitnehmer gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG im Krankheitsfall eine AU vorzulegen haben. Liegt diese vor, darf der Arbeitgeber grundsätzlich nicht mehr die Zahlung verweigern (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG). Aber: Der Beweiswert einer AU ist nicht unerschütterlich.

Anders als eine gesetzliche Vermutung nach § 292 ZPO kann er durch nachvollziehbare Zweifel des Arbeitgebers erschüttert werden – etwa bei auffälligem Verhalten oder lückenhafter Dokumentation. In solchen Fällen kippt die Beweislast: Der Arbeitnehmer muss dann darlegen und beweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war. Das BAG hat in mehreren Urteilen deutlich gemacht, dass der hohe Beweiswert einer AU nicht mit blindem Vertrauen verwechselt werden darf. Wann Zweifel berechtigt sind und was das für die Entgeltfortzahlung bedeutet, zeigt der aktuelle Fall. 

Der Sachverhalt

Ärztliches Attest aus dem Ausland

Ein Arbeitnehmer, der sich zum Zeitpunkt seiner Erkrankung in Tunesien befand, legte seinem Arbeitgeber kurz vor Ende seines Urlaubs ein Attest eines tunesischen Arztes vor. Das Attest bescheinigte eine über den Urlaubszeitraum hinausgehende Arbeitsunfähigkeit von 24 Tagen. Erst drei Wochen nach dem Urlaub reichte er eine weitere AU eines deutschen Arztes nach.

Der Arbeitgeber zahlte nicht – und das BAG gab ihm Recht. Zwar erkannte das LAG München die tunesische AU noch an, das BAG aber entschied, dass der Beweiswert des Attests aufgrund der Gesamtumstände erschüttert sei. 

Die Entscheidung

Entscheidung des BAG und rechtliche Folgen

Das BAG hob das Urteil des LAG auf und verwies den Fall zurück zum LAG, das ihn jetzt noch einmal prüfen muss. In der derzeit allein vorliegenden Pressemitteilung des BAG heißt es:

Das LAG hatte zwar damit recht, dass die AU-Bescheinigung des tunesischen Arztes im Ausgangspunkt den gleichen Beweiswert wie eine deutsche AU-Bescheinigung hatte. Denn der tunesische Arzt hatte zwischen einer bloßen Erkrankung und einer mit dadurch bedingten Arbeitsunfähigkeit unterschieden.

Allerdings hatte das LAG die vom Arbeitgeber vorgebrachten Umstände, mit denen er den Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttern wollte, jeweils nur isoliert betrachtet und eine – rechtlich gebotene Gesamtwürdigung unterlassen.

Hier ist, so das BAG, zu berücksichtigen, dass der Arzt für 24 Tage Arbeitsunfähigkeit bescheinigte, ohne eine Wiedervorstellung des Arbeitnehmers anzuordnen. Der Arbeitnehmer buchte einen Tag nach der bescheinigten Notwendigkeit häuslicher Ruhe und dem Ausspruch eines Reiseverbots bis zum 30.09.2022 ein Fährticket für den 29.09.2022. An diesem Tag trat er auch die lange Rückreise an. Außerdem hatte der Arbeitnehmer bereits in den Jahren 2017 bis 2020 dreimal unmittelbar nach seinem Urlaub AU-Bescheinigungen vorgelegt.

Diese Umstände mögen zwar, so das BAG, für sich betrachtet harmlos sein. In einer Gesamtschau begründen sie aber ernsthafte Zweifel am Beweiswert der AU-Bescheinigung.

Daher lag die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit beim Kläger. Denn davon hing der streitige Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 3 Abs.1 EFZG ab. Daher muss das LAG nunmehr klären, ob wirklich eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorlag.

Zudem verwies das BAG auf die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie: Eine AU über mehr als zwei Wochen ist nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig – was hier nicht nachvollziehbar war. Die spätere Bescheinigung des deutschen Arztes half dem Arbeitnehmer nicht, da sie sich nicht auf den ursprünglichen Zeitraum bezog. 

#KurzErklärt

Grundsätzlich ist eine AU ein starkes Beweismittel. Auch ein Attest aus dem Ausland genießt zunächst vollen Beweiswert. Aber: Der Beweiswert ist nicht unantastbar. Es braucht keinen Gegenbeweis im engeren Sinn – also keinen Beweis der Gesundheit. Vielmehr genügt es, wenn der Arbeitgeber berechtigte Zweifel äußert, die in ihrer Gesamtschau plausibel sind.

Praxistipp

Praxistipp
Nicht jedes Attest führt automatisch zu einem Entgeltfortzahlungsanspruch. Arbeitgeber sollten genau prüfen – insbesondere bei AU-Bescheinigungen aus dem Ausland, langen Krankheitszeiträumen oder auffälligem zeitlichen Zusammenhang mit Urlauben. Werden Zweifel laut, sollte die Entgeltfortzahlung vorerst verweigert und der Arbeitnehmer zur Nachbesserung aufgefordert werden. Es liegt dann an ihm, seine Arbeitsunfähigkeit substantiiert zu belegen.

BAG, Urteil vom 15.01.2025 – 5 AZR 284/24

von Frau Dr. Felisiak von Eversheds Sutherland (Germany) Rechtsanwälte

 

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