Kündigungsschutzklage während der Schwangerschaft
Das BAG klärt: Für die Frist der Kündigungsschutzklage einer schwangeren Arbeitnehmerin zählt die ärztliche Feststellung der Schwangerschaft. Ein positiver Selbsttest reicht nicht aus.

Das BAG hatte sich mit der Frage der nachträglichen Zulassung einer Kündigungsschutzklage einer schwangeren Arbeitnehmerin zu befassen. Zentrales Thema war die Frage, ab wann die Frist für die Einreichung einer Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG beginnt, wenn eine Schwangerschaft erst nach der Kündigung bekannt wird. Das BAG konkretisiert Voraussetzungen des § 5 KSchG.
Fristbeginn der Kündigungsschutzklage bei Schwangerschaft
Verortung des Urteils
Die Einhaltung der dreiwöchigen Klagefrist nach § 4 KSchG gehört zu den Grundpfeilern des deutschen Kündigungsschutzrechts. Dass dies aber nicht immer so einfach ist, zeigt ein aktuelles Urteil.
BAG-Urteil: maßgeblicher Zeitpunkt der Kenntniserlangung
Der Sachverhalt
Die Klägerin war seit Dezember 2012 bei der Beklagten beschäftigt. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 13.05.2022 ordentlich zum 30.06.2022; die Kündigung ging der Klägerin am 14.05.2022 zu. Am 29.05.2022 führte die Klägerin einen Schwangerschaftstest durch, der positiv ausfiel. Sie informierte die Beklagte noch am selben Tag per E-Mail über das Ergebnis und bemühte sich um einen kurzfristigen Termin bei ihrer Frauenärztin, den sie jedoch erst am 17.06.2022 erhielt. An diesem Tag erhielt sie auch die ärztliche Bestätigung ihrer Schwangerschaft, die sie am 21.06.2022 bei Gericht einreichte und bestätigte, in der „ca. 7+1 Schwangerschaftswoche“ zu sein. Da die dreiwöchige Klagefrist gemäß § 4 KSchG zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war, beantragte die Klägerin deren nachträgliche Zulassung gemäß § 5 KSchG. Sie machte geltend, erst mit der ärztlichen Bescheinigung gesicherte Kenntnis von ihrer Schwangerschaft erlangt zu haben. Die Beklagte widersprach und vertrat die Auffassung, bereits der positive Selbsttest hätte genügt, um die Klagefrist wahren zu müssen.
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht ließen die Klage nachträglich zu und gaben ihr statt. Die Kündigung wurde wegen Verstoßes gegen § 17 MuSchG für unwirksam erklärt. Die Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg.
Fristversäumnis: Eigenes Verschulden und Nachweis
Die Entscheidung
Das BAG entschied, dass die Kündigung der Beklagten vom 13.05.2022 das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat und unwirksam ist. Die Klägerin war im Zeitpunkt der Kündigung schwanger, was der Beklagten nicht bekannt war. Die Klägerin hat die Schwangerschaft der Beklagten nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist nach Zugang der Kündigung mitgeteilt, jedoch unverzüglich nachgeholt, sobald sie Kenntnis von der Schwangerschaft hatte.
Das BAG stellte fest, dass die Klägerin die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nicht eingehalten hat, jedoch die Kündigungsschutzklage gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen ist. Die Klägerin konnte erst nach dem Arzttermin am 17. Juni 2022 sicher wissen, dass sie bereits im Kündigungszeitpunkt schwanger war. Die Antragsfrist begann daher erst am 18.06.2022 und die Klägerin hat diese Frist eingehalten.
Das BAG betonte, dass die Regelung des § 4 Satz 4 KSchG keine Anwendung findet, wenn der Arbeitgeber bei Zugang der Kündigung keine Kenntnis von der Schwangerschaft hat. Die Klägerin hat die Schwangerschaft der Beklagten unverzüglich nach Kenntnis mitgeteilt, sodass die Kündigung unwirksam ist.
Schutzklage und Fristwahrung
#KurzErklärt
- Maßgeblicher Zeitpunkt der Kenntniserlangung: ärztliche Feststellung statt bloßen Verdachts: Für den Fristbeginn der zweiwöchigen Antragsfrist nach § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist nicht der Zeitpunkt eines positiven Schwangerschaftstests entscheidend, sondern die sichere ärztliche Bestätigung der Schwangerschaft. Ein positiver Heimtest genügt nicht, um die Antragsfrist in Gang zu setzen. Arbeitgeber sollten daher bei eingehenden Klagen und Anträgen auf nachträgliche Zulassung sorgfältig prüfen, wann eine ärztliche Diagnose vorlag, nicht nur, wann die Arbeitnehmerin einen Verdacht hatte.
- Keine Versäumung aus eigenem Verschulden bei verzögertem Arzttermin: Das BAG nimmt die Arbeitnehmerin ausdrücklich nicht in Verantwortung für die terminliche Verzögerung bei der ärztlichen Bestätigung, sofern sie sich unverzüglich um einen Arzttermin bemüht hat. Entscheidend ist, ob die Verzögerung nicht von ihr zu vertreten ist (§ 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Für die Argumentation zur Klageunzulässigkeit reicht es nicht aus, wenn zwischen Kündigung und ärztlicher Feststellung einige Wochen liegen. Es kommt darauf an, ob die Arbeitnehmerin sich zügig um medizinische Abklärung bemüht hat – was ggf. glaubhaft zu machen ist.
- Rechtliches Gebot anwaltlicher Vorsicht bei unklarer Rechtslage: Die Klägerin hat den Antrag auf nachträgliche Zulassung und die Kündigungsschutzklage noch vor dem Arzttermin eingereicht. Dies wird vom BAG nicht negativ bewertet – im Gegenteil: Das LAG Sachsen (Entscheidung vom 22.04.2024 – 2 hat zu Recht betont, dass eine solche Vorgehensweise aus anwaltlicher Vorsicht sogar geboten sein kann, um prozessuale Nachteile zu vermeiden. Bei Zweifeln über den Beginn der Frist nach § 5 KSchG ist eine frühzeitige Schutzklage in Verbindung mit dem Antrag auf nachträgliche Zulassung empfehlenswert, selbst wenn der endgültige Nachweis (z. ärztlicher Befund) noch aussteht.
- Objektiver Schutz unabhängig von subjektiver Kenntnis: Das BAG betont: Der Kündigungsschutz nach § 17 MuSchG beruht auf Unionsrecht und knüpft objektiv an das Bestehen der Schwangerschaft im Kündigungszeitpunkt an. Die Möglichkeit, sich auf diesen Schutz zu berufen, darf nicht dadurch vereitelt werden, dass die Frau ihre Schwangerschaft noch nicht kannte. D.h. eine Kündigung ist auch dann unwirksam, wenn die Schwangerschaft zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs objektiv bestand, selbst wenn die Arbeitnehmerin subjektiv noch keine sichere Kenntnis davon hatte. Arbeitgeber tragen das Risiko, dass ein zunächst rechtlich wirksamer Ausspruch ex nun für unwirksam erklärt wird.
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