Leiharbeit: Wie berechnet sich die Überlassungsdauer bei einem Betriebsübergang?
Das BAG beschäftigt sich in der aktuellen Entscheidung mit einer brisanten Frage des Arbeitnehmerüberlassungsrechts, die nun zur Klärung an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) verwiesen wurde.
Bundesarbeitsgericht (BAG), Entscheidung vom 01.10.2024 – 9 AZR 264/23 (A)
Wie ist die Höchstüberlassungsdauer bei Leiharbeit zu berechnen, wenn ein Betriebsübergang erfolgt ist?
Diese Frage ist für Unternehmen und HR-Abteilungen von großer Bedeutung, da sie direkte Auswirkungen auf die Planung und den Einsatz von Leiharbeitnehmern hat. Ein Betriebsübergang kann Unsicherheiten in Bezug auf die Einhaltung der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) mit sich bringen. Sollte die bisherige Überlassungsdauer vollständig angerechnet werden, könnten rechtliche Risiken wie das Entstehen eines Arbeitsverhältnisses drohen.
Verortung des Urteils
Das AÜG (§ 1b Absatz 1 Satz 4 AÜG) sieht eine maximale Überlassungsdauer von 18 Monaten für Leiharbeitnehmer vor. Wird diese Dauer überschritten, entsteht ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem entleihenden Unternehmen. Im vorliegenden Fall wurde ein Leiharbeitnehmer von einem Entleiherbetrieb übernommen, der Teil eines Betriebsübergang gem. § 613a BGB war.
Fraglich war nun, ob die bisherige Überlassungsdauer bei dem neuen Betriebsinhaber weitergerechnet wird. Die zentrale Frage lautete: Führt der Betriebsübergang dazu, dass die Überlassungsdauer „zurückgesetzt“ wird, oder zählt die bisherige Überlassungsdauer weiter?
Der Sachverhalt
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen dem beklagten Unternehmen und dem bei ihm eingesetzten Leiharbeitnehmer wegen Überschreitens der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer gemäß § 10 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist. Der Kläger war als Leiharbeitnehmer im Bereich Logistik von Juni 2017 bis April 2022 tätig. Bis zum 1. Juli 2018 war das Produktionsunternehmen der Entleiher, danach die Beklagte, auf die die Logistik im Rahmen eines Betriebsteilübergangs übergegangen war. Der Kläger argumentiert, dass der Betriebsübergang nicht zu einem „Neustart“ der Überlassungsdauer führt und daher seit dem 16. Dezember 2018 ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten besteht, da die gesetzliche Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten überschritten wurde. Die Beklagte hingegen vertritt die Ansicht, dass die Überlassungsdauer mit dem Betriebsübergang neu beginnt.
Die Entscheidung
Das BAG hat das Verfahren ausgesetzt und den EuGH nach Art. 267 AEUV um Klärung ersucht. Es ist unklar, ob der Veräußerer und der Erwerber im Sinne der Richtlinie als derselbe Entleiher zu betrachten sind.
#KurzErklärt
- Die Entscheidung des EuGH wird maßgeblich dafür sein, ob die Überlassungsdauer ab dem ursprünglichen Einsatzdatum oder erst ab dem Zeitpunkt des Betriebsteilübergangs zu berechnen ist.
- Sollte der EuGH entscheiden, dass die bisherige Überlassungsdauer angerechnet wird, müssen Unternehmen zukünftig bei Betriebsübergängen verstärkt darauf achten, die Höchstüberlassungsdauer nicht zu überschreiten. Andernfalls könnte automatisch ein Arbeitsverhältnis mit dem Leiharbeitnehmer entstehen, was erhebliche rechtliche und finanzielle Konsequenzen haben könnte.
- Die Gründe des Vorlagebeschlusses liegen noch nicht vor, sondern lediglich eine Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts (Nr. 25/24 vom 01.10.2024) sowie das Sitzungsergebnis mit dem Tenor des Vorlagebeschlusses. Klar ist aber, dass für vergleichbare Konstellationen in der Praxis bis zur abschließenden Klärung der Frage eine erhebliche Rechtsunsicherheit besteht, weil letztlich nicht absehbar ist, wie der Europäische Gerichtshof die vorgelegte Frage beantworten wird.
- Das Verfahren ist bis zur Entscheidung des EuGH ausgesetzt. Ein Parallelverfahren (9 AZR 263/23) wurde ebenfalls ausgesetzt, bis Klarheit durch den EuGH geschaffen wird.
Praxistipp Um sicherzustellen, dass die gesetzliche Höchstüberlassungsdauer nicht überschritten wird, sollten Einsätze vorsorglich so rechtzeitig beendet werden, dass auch bei einer möglichen Zusammenrechnung der Einsatzzeiten kein Risiko besteht. Dies gilt insbesondere dann, wenn keine zwingenden unternehmerischen Gründe dagegen sprechen und ein Entstehen eines Arbeitsverhältnisses vermieden werden soll. Sollte die gesamte Einsatzdauer, einschließlich der Zeit vor und nach einem Betriebsübergang nach § 613a BGB, relevant sein, kann sich der Entleiher zudem nicht auf einen Vertrauensschutz für vergangene Zeiträume berufen. |
von Frau Dr. Felisiak von Eversheds Sutherland (Germany) Rechtsanwälte