Klare Grenzen im digitalen Zutrittsrecht für Gewerkschaften
Erfreuliche Nachricht für gewerkschaftsgeplagte Arbeitgeber: Das BAG hat erneut betont, dass Arbeitgeber zwar gewisse Informations- und Werbemaßnahmen der Gewerkschaften während der Arbeitszeit – auch auf digitalem Wege – dulden müssen, jedoch nicht verpflichtet sind, hierfür aktiv betriebliche Mittel bereitzustellen.

Im Mittelpunkt der Entscheidung stand die Frage, inwieweit Gewerkschaften Ansprüche auf Herausgabe betrieblicher E-Mail-Adressen, den Zugang zu internen Kommunikationsnetzwerken sowie auf die Verlinkung ihrer Homepage im betrieblichen Intranet geltend machen können.
Verortung des Urteils
Das BAG hat am 28.01.2025 (Az. 1 AZR 33/24) in einem richtungsweisenden Urteil die Grenzen der digitalen Koalitionsbetätigungsfreiheit neu abgesteckt. Arbeitgeber müssen zwar gewerkschaftliche Informations- und Werbemaßnahmen während der Arbeitszeit – auch digital – dulden, jedoch nicht aktiv betriebliche Kommunikationsmittel wie E-Mail-Listen, Intranets oder interne Netzwerke zur Verfügung stellen. Rechtlich geht es um das Spannungsfeld zwischen dem verfassungsrechtlich geschützten Koalitionsrecht der Gewerkschaften (Art. 9 Abs. 3 GG) und den unternehmerischen Schutzrechten (Art. 14 und Art. 12 GG).
Der Sachverhalt
- Die Beklagte führt einen Betrieb mit mehreren tausend Mitarbeitenden und ist Teil eines weltweiten Konzerns. Nach einer in dem Betrieb geltenden Betriebsvereinbarung können die Mitarbeitenden rund 40% ihrer individuellen Arbeitszeit mobil oder im Home-Office arbeiten. Der überwiegende Teil der betriebsinternen Kommunikation findet dabei über die dienstlichen E-Mail-Adressen, die von Microsoft 365 entwickelte Anwendung Viva Engage sowie über das konzernweite Intranet statt.
- Die klagende Gewerkschaft hat die Auffassung vertreten, ihr müsse für die Mitgliederwerbung ein „Zugang“ zu den vorgenannten Kommunikationssystemen eingeräumt werden. Die Beklagte sei daher u. a. verpflichtet, ihr sämtliche betrieblichen E-Mail-Adressen der Mitarbeitenden zu übermitteln. Zumindest habe sie einen solchen Anspruch, um den Mitarbeitenden bis zu 104 E-Mails im Jahr mit einer Größe von bis zu 5 MB zu übersenden. Zudem sei ihr ein Zugang als „internal user“ zum konzernweiten Netzwerk bei Viva Engage zu gewähren, damit sie dort eine bestimmte Anzahl werbender Beiträge einstellen könne. Außerdem müsse die Beklagte auf der Startseite ihres Intranets eine Verlinkung mit der Webseite der Klägerin vornehmen.
Die Entscheidung
Bereits in einem früheren Urteil vom 20.01.2009 (Az. 1 AZR 515/08) hatte das BAG ein virtuelles Zutrittsrecht etabliert, wonach Gewerkschaften betriebliche E-Mail-Adressen für Informations- und Werbezwecke nutzen dürfen – vorausgesetzt, es kommt nicht zu einer Störung der Betriebsabläufe oder des Betriebsfriedens. Mit der zunehmenden Digitalisierung und der Verlagerung des Arbeitslebens ins Virtuelle hat sich die Diskussion um diesen Zugang weiter intensiviert.
Das aktuelle Urteil präzisiert jedoch, dass aus der Koalitionsbetätigungsfreiheit der Gewerkschaften kein Anspruch auf aktive Unterstützung durch den Arbeitgeber abgeleitet werden kann. Konkret heißt das:
- Keine Herausgabe kompletter E-Mail-Listen: Zwar müssen Arbeitgeber die Nutzung einzelner betrieblicher E-Mail-Adressen für gewerkschaftliche Zwecke dulden, eine Verpflichtung zur Aushändigung kompletter Listen bleibt jedoch verneint. Die Rechte des Arbeitgebers aus Art. 14 GG (Eigentum) und Art. 12 GG (wirtschaftliche Betätigungsfreiheit) schützen vor einer derartigen Zwangsmaßnahme.
- Kein umfassender Zugang zu internen Kommunikationsnetzwerken: Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, Gewerkschaften in ihre internen digitalen Kommunikationsstrukturen – etwa betriebliche Netzwerke oder Kollaborationsplattformen – einzubinden. Die Nutzung betrieblicher Mittel bleibt somit nach Auffassung des BAG ausdrücklich auf das Duldungsrecht beschränkt.
- Keine Pflicht zur Verlinkung der Gewerkschaftswebsite im Intranet: Entgegen vergleichbarer Regelungen in bestimmten tariflichen oder personalrechtlichen Kontexten (z. B. nach § 9 Abs. 3 S. 2 BPersVG) besteht für die Privatwirtschaft im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) keine entsprechende Regelung. Das BAG verwies auf die klare gesetzgeberische Entscheidung, im Zuge des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes auf eine solche Norm zu verzichten.
Konsequenzen für die Praxis
Das Urteil illustriert eindrucksvoll den ständigen Interessenausgleich zwischen den Rechten der Gewerkschaften und den schützenswerten wirtschaftlichen sowie eigentumsrechtlichen Interessen der Arbeitgeber. Im Zentrum steht dabei die Auslegung von Art. 9 Abs. 3 GG, der zwar den Koalitionsschutz gewährleistet, jedoch nicht als Freibrief für die Inanspruchnahme betrieblicher Ressourcen zu Werbezwecken missverstanden werden darf.
Die Entscheidung stützt sich dabei auf mehrere wesentliche Argumentationslinien:
- Abgrenzung von Duldungs- und Unterstützungsrechten:
Die Koalitionsbetätigungsfreiheit verpflichtet den Arbeitgeber lediglich zur Duldung von Informationsmaßnahmen – nicht aber zur aktiven Förderung der gewerkschaftlichen Tätigkeit. Diese Unterscheidung dient dem Schutz des Eigentums und der wirtschaftlichen Freiheit des Arbeitgebers. - Berücksichtigung der digitalen Transformation:
Auch wenn sich das Arbeitsleben verstärkt in den digitalen Raum verlagert, bedeutet dies nicht, dass traditionelle Schutzrechte des Arbeitgebers automatisch zur Aufgabe kommen. Das BAG verdeutlicht, dass die Digitalisierung keine Umgehung des grundgesetzlichen Schutzes darstellt. - Gesetzgeberische Entscheidungsfreiheit:
Die fehlende gesetzliche Norm im BetrVG, die eine Verpflichtung zur Integration gewerkschaftlicher Kommunikationsangebote in digitale Betriebsstrukturen begründet, unterstreicht, dass eine analoge Anwendung aus personalrechtlichen Regelungen nicht möglich ist. Der Gesetzgeber hat hier bewusst Abgrenzungen vorgenommen, um die unternehmerische Autonomie zu wahren.
Praxistipps
Für Arbeitgeber bedeutet das BAG-Urteil eine klare Rechtslage:
- Duldungspflicht bleibt bestehen: Gewerkschaften dürfen während der Arbeitszeit – auch über digitale Kommunikationsmittel – informieren und werben.
- Aktive Unterstützungspflichten entfallen: Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, betriebliche Ressourcen wie E-Mail-Listen, Intranetseiten oder Kommunikationsnetzwerke für gewerkschaftliche Zwecke zur Verfügung zu stellen.
Diese Entscheidung gibt insbesondere Unternehmen, die sich bislang unter dem Druck gewerkschaftlicher Ansprüche befanden, ein rechtssicheres Fundament, um ihre internen Kommunikationsstrukturen zu schützen. Zugleich bleibt jedoch offen, wie sich die Rechtsprechung in einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt weiterentwickeln wird – insbesondere, wenn neue Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen Arbeitnehmerinteressen und unternehmerischer Autonomie auftreten. |