Banner Online Kompaktkurse für fundiertes Wissen zu neuesten Gesesetzesänderungen und Abrechnungskriterien
Abo

Interview mit Bianca Rabl : Gesundheit als ständiger Spagat – ein letztlich zu teures Privatvergnügen!

Wenn es um die gesundheitliche Fürsorgepflicht geht, dann sind Unternehmen der Zeit wahrscheinlich selten so hinterhergehinkt wie derzeit – und damit sind nicht die Themen unmittelbare Corona-Präventions- und -Schutzmaßnahmen oder die Einhaltung des Arbeitsschutzes gemeint.

FokusWork-Life-Balance
Lesezeit 6 Min.

Wo droht die Wirtschaft bald ganz böse davon eingeholt zu werden, wenn der derzeitige gängige Status quo des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) auf diese Weise weitergeführt wird? Gesundheit kann man bekanntlich „nicht kaufen“, aber man kann viel dafür tun! Auf Unternehmensebene sollte da schnellstmöglich einiges geschehen. Sonst verpasst man den Anschluss an die Themen Fachkräftemangel und Nachhaltigkeit ganz gründlich, wie Bianca Rabl, Lern- und Entspannungscoach, in diesem Interview deutlich darlegt.

Wie sieht die BGM-Landschaft in Bezug auf Firmen aus und wo begehen viele Verantwortliche (immer noch) die größten grundsätzlichen Denkfehler?

Viele Unternehmen haben erkannt, dass BGM wichtig ist für ihre Mitarbeiter*innen und auch einen Wettbewerbsvorteil bringen kann im „War for Talents“. Vor allem große Unternehmen sind hier sehr aktiv. Kleinere und mittlere Unternehmen haben oft zu wenig Ressourcen und damit einen begrenzteren Handlungsspielraum.

Investition zahlt sich aber in diesem Bereich aus. Oft bleiben die Themen beschränkt, wie zum Beispiel „gesunder Rücken“, oder die Mitarbeiter* innen haben die Möglichkeit, ein Fitnesstraining zu besuchen, das der Arbeitgeber ganz oder zum Teil finanziert. Heißt aber auch, dass zum eh schon vollgepackten Zeitplan noch die Zeit für das Training dazukommt.

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Gesundheit mehr als nur körperliche Gesundheit. Sie definiert Gesundheit als „einen Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen“.

Entspannung für Körper, Geist und Seele ist die Basis für das Wohlbefinden und Teil der Gesundheitsfürsorge. Aber viele Menschen schaffen es nicht, aus eigener Kraft, nach einem vollen Arbeitstag auch noch Entspannungsübungen oder andere Dinge zu tun, die ihr Wohlbefinden stärken, schon gar nicht nach einem Tag im Homeoffice, wo es schwierig ist, Arbeit und Freizeit zu trennen.

Dass Wohlbefinden und Gesundheit nicht nur Privatsache sind, sondern die Grundlage für Konzentration, Kreativität und ein gutes Miteinander, ist hinreichend bekannt und in vielen Untersuchungen belegt. Außerdem beeinflusst die Gesundheit das alltägliche Leben und die Lebensqualität der Menschen und ist Voraussetzung, um am sozialen, ökonomischen und gesellschaftlichen Leben erfolgreich teilhaben zu können.

Die Fähigkeit, gut für sich und die eigene Gesundheit zu sorgen, hat auch Signalwirkung auf das Umfeld der Menschen, wie zum Beispiel die Familie. So haben Eltern eine „Vorbildfunktion“ und Kinder lernen von den Eltern. Wenn es an Ressourcen oder Möglichkeiten fehlt, um sich um das eigene Wohlbefinden zu kümmern, sei es aus zeitlichen oder finanziellen Gründen, hat auch dies eine Wirkung auf das Umfeld. Deshalb ist es wichtig, dass Unternehmen ihren Blick hinsichtlich ihrer Fürsorgepflicht weiten und nach neuen Möglichkeiten schauen, um ihre Mitarbeiter*innen zu unterstützen, denn sie sind der wichtigste Faktor für den Erfolg eines Unternehmens.

In welchen Bereichen rächt sich ein defizitäres oder nicht vorhandenes Betriebliches Gesundheitsmanagement jetzt schon am meisten?

Wie erwähnt, kann ein gutes betriebliches Gesundheitsmanagement mittlerweile auch ein Wettbewerbsvorteil sein und Mitarbeiter*innen, Fachkräfte an ein Unternehmen binden. Im Gegenzug müssen Unternehmen, die keinen Blick für das ganzheitliche Wohl ihrer Mitarbeiter*innen haben, mit einer höheren Fluktuation rechnen, was immer mit Mehrkosten in Verbindung steht. Neue Mitarbeiter*innen müssen gesucht und eingelernt werden. Wenn es nicht gelingt, die Mitarbeiter*innen zu halten, fließt das Know-how immer wieder ab.

Außerdem entstehen durch zu viel Stress und starke Belastungen Störungen der Konzentration und Aufmerksamkeit, die zu Arbeitsunfällen führen können, aber auch zu höheren Krankheitszahlen – bis hin zu Ausfällen durch Burnout.

Wie können die Unternehmen ihre Mitarbeiter*innen am meisten unterstützen, damit es zu einem möglichst gesunden Arbeitsleben kommt?

Im Rahmen eines Gesundheitstages kann das Thema „Gesundheit“ zusammen in den Blick genommen werden. Hier können niederschwellige Angebote dabei helfen, das Bewusstsein für Zusammenhänge zu schaffen, etwa dafür, wie Belastungen sich auf das allgemeine Wohlbefinden und die Gesundheit auswirken. Ebenso empfiehlt es sich, das eigene Handeln und die Handlungsmöglichkeiten zu betrachten.

Es können Thementage gestaltet werden, und Impulsvorträge sowie Mitmachangebote ermöglichen es, über den eigenen Tellerrand zu schauen, Neues kennenzulernen und auszuprobieren und, gemeinsam mit anderen, neuen Ideen für die eigene gesunde Lebensführung zu erkunden. Oft fällt es Menschen leichter, zusammen etwas zu verändern, da man sich austauschen und sich gegenseitig motivieren kann. Gleichzeitig stärkt das Miteinander auch die Unternehmenskultur und den Teamgeist.

Angebote im Betrieb bieten die Möglichkeit, „rauszukommen“ aus dem Trott von Homeoffice und Alltagsroutine. Gemeinsame Zeiten der Entspannung im Unternehmen bedeuten auch, zusammen eine schöne und wertige Zeit zu verbringen. Hier können Angebote vor Ort etabliert werden, die das Thema „umdrehen“: Treffen für die Gesundheit mit anschließendem Meeting. Dabei können die positiven Effekte von Entspannung genutzt werden, wie beispielsweise eine verbesserte Konzentration, mehr Kreativität für lösungsorientiertes Denken oder eine ruhige und sachliche Kommunikationsgrundlage (sachliches Argumentieren, anstatt zu streiten).

Neben der Niederschwelligkeit ist es auch wichtig, dass die Angebote ganzheitlich sind und den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden (typgerechte Angebote), den nicht jeder braucht eine „Rückenschule“ oder kann sich bei Yoga entspannen. Manche genießen es auch, einmal nichts tun müssen und sich einfach durch Worte einer geführten Meditation oder Fantasiereise in die Entspannung führen oder sich von Klängen „tragen“ zu lassen. Es geht darum, den Begriff „Gesundheit“ wieder positiv zu besetzen.

Wo wird das Um- und Neudenken in Bezug auf die Unterstützung der Mitarbeiter*innen in Sachen Gesundheit am meisten gefragt sein?

Wenn Corona vorbei ist, wird es umso mehr darum gehen, die Menschen nach der Zeit im Homeoffice und den Videokonferenzen wieder zusammenzubringen und eine positive Bindung an das Unternehmen aufzubauen oder (wieder) zu stärken. Die Menschen sind der zentrale Faktor für den Erfolg eines Unternehmens, ohne sie gäbe es das Unternehmen nicht. Deshalb ist es wichtig, den Menschen im Unternehmen mit Wertschätzung zu begegnen, sie in ihrer Ganzheit zu sehen und anzunehmen.

Welche Zukunftspotenziale bieten sich Wirtschaft, Gesellschaft und dem Unternehmertum durch die verbesserten und neuen Denkansätze – Stichwort Gesundheitsunterstützung als fester Pfeiler (in) der Arbeitswelt?

Das betriebliche Gesundheitsmanagement bzw. die betriebliche Gesundheitsfürsorge kann in vielen Bereichen unterstützen. Sie können dabei helfen, mit Belastungen im familiären Bereich besser umzugehen und dabei das System Familie zu stärken. Gleichzeitig kann eine gut gelebte Selbstfürsorge auch Antrieb für andere sein.

Wenn Menschen dabei unterstützt werden, gut für sich selbst zu sorgen, kommt das auch der Gesellschaft zugute, denn entspannte Menschen sind weniger krank und verbrauchen damit auch weniger Ressourcen im Gesundheitssystem. Es ist ebenso wichtig, dass der Begriff Gesundheit wieder als ein positiver Wert wahrgenommen wird, als etwas Erstrebenswertes, als etwas, das für die eigene Entwicklung und die Teilhabe am Leben wichtig ist, um die Menschen in ihrem Empowerment und ihrer Selbstwirksamkeit zu stärken. Außerdem nutzt es auch dem Unternehmen selbst, denn wer das Wohlbefinden seiner Mitarbeiter*innen im Blick hat, stärkt auch die eigene Unternehmenskultur und macht sich damit attraktiver und „fit“ im Wettbewerb um Mitarbeiter*innen und Fachkräfte und im „War for Talents“.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Dr. Silvija Franjic, Onlineredakteurin + Jobcoach

Bianca Rabl
Bianca Rabl

 

Diesen Beitrag teilen: